Beste Aussichten: Hotel-Posse im Opernhaus

„Zur schönen Aussicht“: Martin Kloepfer setzt die Komödie kurzweilig in Szene.

Wuppertal. Es sind alles andere als schöne Aussichten: Zwar locken im Hintergrund die Berge, persönliche Höhepunkte haben die Figuren, die in einem Ausflugshotel wie Gestrandete aufeinander hocken, jedoch nicht mehr zu erwarten — auf der gesellschaftlichen Skala sind sie ganz unten angekommen. Am Samstagabend gab es dafür viel Beifall: Die letzte Opernhaus-Premiere kam gut an — auch wenn der Saisonabschluss ausgerechnet mit dem Auftaktwochenende der EM kollidierte.

Da liegt die Vermutung nahe, dass womöglich schon deshalb nicht jede Reihe voll besetzt war, weil die Europameisterschaft aus Sicht von Fußball-Fans mehr Spannung versprach als Ödön von Horváths Dreiakter „Zur schönen Aussicht“.

Dabei hat die Posse um eine Pleite-Pension gleich mehrere schauspielerische Höhepunkte zu bieten: Dass man tiefer kaum sinken kann, demonstrieren vor allem die Herren der Schöpfung.

Emanuel Freiherr von Stetten (Marco Wohlwend), geht vor Ada (Sophie Basse) in die Knie — allerdings nur, weil ihn Spielschulden drücken und die (ungeliebte) Schwester den Geldhahn öffnen kann, wenn sie denn will. Auch für den Sektvertreter Müller (Hendrik Vogt) wird das Hotel mit dem trügerischen Namen „Zur schönen Aussicht“ nicht zur Oase der Entspannung: Der steife Schaumschläger und Möchtegern-Macho, der (nüchtern betrachtet) in die Kategorie Warmduscher und Hypochonder fällt, stürzt tölpelhaft vom Stuhl und bleibt prompt auf dem Boden liegen — wie ein Kleinkind, dem die Mutter Trost zusprechen muss.

Seine Geschlechtsgenossen sind nicht besser — nur anders. Die Männer, die Frauen nur deshalb bezirzen, weil sie der Schlüssel zu einem besseren Leben sein könnten, beweisen kein Rückgrat, sondern verkaufen, verraten und verbiegen sich. Das gilt auch für den vorbestraften Chauffeur (Heisam Abbas), der wegen Totschlags einsaß, die schnell zitternde Faust nach wie vor mühsam zurückhalten muss und zum Schluss scheinbar handzahm auf Kniepolstern rutscht, um der Neu-Reichen Christine (Anne-Catherine Studer) den Hof zu machen. Doch der erste Eindruck täuscht: „Zur schönen Aussicht“ ist keine Komödie im aberwitzigen Sinne.

Regisseur Martin Kloepfer tut daher gut daran, die Balance zu halten, also den Humor nicht zu vernachlässigen, vor allem aber auch die Tragik nicht zu vergessen. Das Timing stimmt: Die pausenlose Maskerade ist kurzweilig, hat aber zugleich genügend leise Momente, in denen klar wird, dass hier vieles Risse hat, die Möbel genauso wie die Seelen.

Am Ende ergibt das ganze Theater zwar keine beißende Gesellschaftssatire, aber einen unterhaltsamen Abend, der 105 Minuten lang persönliche Dramen offenbart. Die Kulisse passt, die Besetzung ebenso: Die Gestrandeten sind genauso heruntergekommen wie das Hotel (Bühne: Oliver Kostecka). Bodenplatten sind locker, die Schiebetür ist nur in Bruchstücken und ohne Scheibe vorhanden, im Hintergrund steht ein überdimensional großer Umzugskarton: Alles ist in Auflösung begriffen.

Horváths Frühwerk kann eine denkbar langweilige Angelegenheit sein — wenn es den Schauspielern nicht gelingt, das Brüchige ihrer Figuren aufzuzeigen. Dem Wuppertaler Ensemble gelingt es: Die sieben Darsteller setzen auf Komik und bewegen sich auch schon mal auf der Grenze zum Klamauk, geben die einzelnen Charaktere aber nicht der Lächerlichkeit preis.

Basse gibt der liebesbedürftigen Nymphomanin Ada die nötige Tiefe, Studer überzeugt als vereitelte Heilsbringerin, Abbas feiert einen gelungenen Einstand an den Wuppertaler Bühnen. Der Pensionswirt (Holger Kraft) jedoch bleibt zu eindimensional.

Dafür spielt Thomas Braus alle an die Wand: Als Künstler-Kellner setzt er unnachahmliche Akzente, kommentiert kichernd das Geschehen und lackiert sich genüsslich die Finger- und Fußnägel. Kurzum: Aus einer vermeintlichen Randerscheinung macht er die heimliche Hauptrolle. „Der Diener zweier Herren“ lässt fröhlich grüßen — auch da hatte Braus für etliche Höhepunkte gesorgt.

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