Australischer Charme im Tal: Verstärkung für das Tanztheater

Paul White tanzt auf den Spuren von Pina Bausch. Er tritt erstmals im Opernhaus auf.

Wuppertal. „Ich liebe Tuffi.“ Es ist nicht unbedingt der erste Satz, den man erwartet, wenn man einen Australier fragt, was ihm an Wuppertal gefällt. Doch wenn Paul White von seiner neuen Heimat spricht, kann man gar nicht anders. Man ist beeindruckt — weil der 29-Jährige sehr gut Deutsch spricht. Man ist fasziniert — weil er genauso viel Witz wie Esprit versprüht. Man ist verblüfft — weil er so viel Energie hat, dass sie vermutlich für mehrere Tänzer reichen dürfte. Mit anderen Worten: Man wird schlichtweg mitgerissen. Denn der 29-Jährige hat Charme — viel Charme.

Er wirkt rundum zufrieden: Bestens gelaunt ist der Sonnyboy, der den Sprung ins Tanztheater Wuppertal geschafft hat und ursprünglich vom anderen Ende der Welt kommt. Australien — ein Land, das zum Träumen einlädt. Auch auf die Gefahr hin, dass romantische Vorstellungen nur von kurzer Haltbarkeit sind: Wer vor seinem inneren Auge die Liste aller möglichen Klischees abwandert, geht vermutlich Schritt für Schritt vor und landet am Ende dort, wo sich Abenteurer rundum wohlfühlen. Bei Surfbrett und Sonne, Koalas und Kängurus.

Die Realität sieht für Paul White längst anders aus: Statt Eukalyptusbäumen und Digeridoos gehören jetzt Bergische Waffeln und Schwebebahnen zum Umfeld des gebürtigen Australiers. Wie er das findet? Die Antwort ist eindeutig: White lässt seine glänzenden Augen sprechen. Es ist ein angenehmes Lächeln, kein übertriebenes. Denn der spitzbübische Charme wirkt nicht aufgesetzt, er strahlt von innen heraus. Keine Frage: Paul White hat Ausstrahlung — auch jenseits des Rampenlichts.

Heimweh? Das scheint der Mann, der voller Elan steckt, nicht zu kennen. Wenige Stunden vor dem WZ-Interview war er noch ganz woanders: Gerade erst ist er von einer Reise nach Kalifornien zurückgekehrt. „Mir ist wichtig, dass ich ,busy’ bin — dass ich viel zu tun habe. Wo ich wohne, ist dagegen nicht so wichtig“, erklärt er — um nur wenig später selbst verblüfft zu sein. Denn statt über den Jetlag — sprich über die Zeitverschiebung und einen langen Flug — zu jammern, stellt der Tänzer erstaunt fest, was er kurz vor dem Abflug in Kalifornien gedacht habe. „Ich sagte mir: I go home to Wuppertal.“ White ist selbst überrascht: Wuppertal ist also bereits zur Heimat geworden — auch wenn er erst seit wenigen Monaten im Tuffi-Land zu Hause ist.

Der Australier über das Repertoire des Wuppertaler Tanztheaters.

Der Kosmopolit, der nicht nur in England, sondern auch eineinhalb Jahre lang in Berlin gelebt hat, fand den Weg nach Wuppertal, weil ihn das Pina-Bausch-Ensemble schon lange fasziniert. Vor sieben Jahren hat er die Kompanie erstmals in London live erlebt. „Später bin ich zweimal nach Wuppertal gefahren“ — um die Heimat des Wuppertaler Tanztheaters kennenzulernen.

Hatte er damals schon entsprechende Ambitionen? „Nein“, sagt er. „Ich hätte nie gedacht, dass ich hier selbst einmal arbeite.“ White strahlt. „Es ist nicht einfach ,nur’ ein Job. Es geht auch nicht ums Prestige.“ Sondern? „Es ist eine einmalige Erfahrung. Eine ganz besondere Zeit für mich. Es ist wie ein Fenster zur Geschichte.“ Auf den Spuren von Star-Choreographin Pina Bausch (1940-2009) setzte sich Paul White im September 2012 — zusammen mit Scott David Jennings — gegen 140 Mitbewerber durch, die sich zwei Tage lang in Wuppertal vorgestellt hatten. 250 hatten sich ursprünglich beworben.

Seit November gehört der Australier nun fest zum Ensemble — und fühlt sich genauso geehrt wie gefordert. „Es ist wie eine große Familie“, schwärmt er. „Es ist eine Gemeinschaft, die sehr konzentriert und detailliert arbeitet. Es geht darum, Pinas Erbe auf einem hohen Standard erhalten.“

Wie ist er überhaupt zum Tanzen gekommen? „Meine Schwestern haben getanzt, ich bin irgendwann einmal mit ins Studio gegangen.“ Nicht ohne Folgen: Zwar tanzen die Schwestern inzwischen nicht mehr — dafür machte ihr Bruder aus der Passion eine Profession. „Ich kann mir nicht vorstellen, etwas anderes zu machen“, betont das neue Ensemblemitglied heute. Er möchte das Publikum bewegen, sagt White. Bei einem Gastspiel in Monaco konnte er bereits für bewegende Momente sorgen. Auf die erste Heimspiel-Serie ist er mindestens genauso gespannt: Seit gestern lädt White die Gäste im Opernhaus zum Träumen, aber auch zum Nachdenken über zwischenmenschliche Beziehungen ein. Der „Kontakthof“ wird noch bis Sonntag aufgeführt.

Ein Klischee kann der Australier übrigens widerlegen. Deutsch sei kompliziert? White hält dagegen: „Spanisch ist viel schwieriger.“ Am Ende formuliert der Mann, der Tuffi (oder besser gesagt die Erzählungen über die Elefantenkuh) liebt, ein weiteres Bekenntnis, das er charmant auf der Zunge zergehen lässt: „Ich wohne am Tippen-Tappen-Tönchen.“ Ein Satz, der natürlich von einem Lächeln gekrönt wird.

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