Kultur Ausstellung „MitGift“: Neue Porträts aus der Vergangenheit

Moritz Albert nutzt alte Fotos aus seiner Familiengeschichte.

 Aus alten Fotos stellt Moritz Albert Menschengruppen zusammen – zu sehen im Neuen Kunstverein.

Aus alten Fotos stellt Moritz Albert Menschengruppen zusammen – zu sehen im Neuen Kunstverein.

Foto: Fischer, Andreas H503840

Bezüge zwischen gestern und heute, vielleicht gefährliche Parallelen zu früher: Es sind Reflexionen zur Zeit, die Moritz Albert beim Neuen Kunstverein zeigt. So versteht sich auch „MitGift“, der Titel seiner Schau - Vergangenes kann ein Geschenk sein, doch manchmal auch toxisch.

Die Ausstellung ist die vierte zum zehnjährigen Bestehen des Vereins. Das „neu“ in dessen Namen erhält im Festjahr erweiterten Sinn: Von Anfang an war sein Prinzip, dass Mitglieder andere Künstler von außen einladen konnten, ihr Werk in der Hofaue zu präsentieren. 2020 nun erweitert man diesen Ansatz, so der Vorsitzende Erik Schönenberg: „Wir geben diese Gabe weiter.“ Der Verein überlässt nun das Votum einer ausgewählten Person, die wiederum einen jungen Künstler bestimmt.

Für den Verein selbst, obwohl Gastgeber, ist es somit oft eine Überraschung, wer was in seinen Räumen zeigt. Es soll der Frische und Offenheit zugutekommen. Wie nun bei Moritz Albert, Jahrgang 1986, der von dem Solinger Künstler Dirk Balke eingeladen wurde: Es ist wohl Zufall, aber mit besagter Zeitreflexion gibt der Maler dem „Neu“ im Vereinsnamen noch eine Facette mehr.

Basis der Ölgemälde (daneben gibt es Transferdrucke) sind Fotos, die Albert im Nachlass seiner verstorbenen Großmutter fand. Beim Malen setzt er Personen darauf in Kontexte, die sich während der Arbeit oft noch entwickeln. „Bei einigen weiß ich selbst nicht, wer sie waren“, stellt er klar, „dann nutze ich sie ein wenig wie ein Regisseur sein Personal“.

An den ausgearbeiteten Gesichtern als Individuen erkennbar, tauchen diese dann etwa als Gruppe auf – statisch und im Stil klassischer Familienporträts. Wären da nicht die drohenden Flammen im Hintergrund, gebettet wiederum in übersüße Blumenmuster. Es entstand zur Zeit des Corona-Lockdowns, erzählt der Künstler, und spiegele die damalige Stimmung.

Wichtig ist Albert das „offene Narrativ“: Was das einzelne Bild erzählt oder erzählen kann, ist demnach vielleicht angedeutet, aber nicht ausgeführt. Ein festes Grundthema allerdings hat „MitGift“ für ihn dennoch: „Es hat alles mit Erbe zu tun.“

Neben der fotografischen Erinnerung an seine Vorfahren meint das konkret das Aufkommen von Nationalismus: Wie zu Beginn der Nazizeit sieht er heute ähnlich gefährliche Tendenzen.

Auserzählt werden soll all das freilich nicht, und beim Betrachten gerät auch anderes in den Fokus: So wirkt eine alte Frau mit Waage wie ein gewaltiger Sprung der Dimensionen – nicht nur, weil auch dieses wandfüllende Format auf einem kleinen Foto basiert. Denn aus einer Alltagssituation, vielleicht im Haushalt, wurde hier eine Geste von fast symbolhaftem Pathos. Gar eine Allegorie der Gerechtigkeit? Auch das wäre sicher zu konkret und bleibt offen; verraten jedenfalls wird durch Alberts Zugriff die Person der Porträtierten allem Anschein nach nicht.

Kommenden Samstag, 3. Oktober, 19 Uhr, gibt es im Neuen Kunstverein, Hofaue 51, eine Lesung mit Diskussion zur Ausstellung mit der Schauspielerin Soraya Sala, dem Philosophen und „Börsen“-Chef Lukas Hegemann und dem Verleger Dr. Adrian Jesinghaus.

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