Begrabt mein Herz in Wuppertal Uwe Becker fürchtet Rechtsstreit mit Fontanes Erben

Wuppertal · Der Kolumnist erklärt, warum er seine Gedichtsammlung im Keller lässt.

 Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic.

Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic.

Foto: Joachim Schmitz

Als Kolumnist lese ich sehr viel. Kein Magazin, kein Buch, keine Zeitung und kein Werbeprospekt ist vor meiner Wissbegierde sicher. Meine Begeisterung für das geschriebene Wort begann schon im zarten Alter von zwei Jahren. Zunächst verschlang ich Bilderbücher, die sich neben meiner kunstvoll gezimmerten Wiege stapelten. Ich erlernte das Lesen sehr zeitig, weil meine Mutter die Gute-Nacht-Geschichten nur herunterratterte, da ihr die zeitliche Koordinierung der Wörter, Sätze und Pausen häufig misslang. Meine Mutter, das war mir schon früh klar, würde niemals Hörbücher einsprechen oder eigene Gedichte in Buchhandlungen vortragen.

Als ich knapp vier Jahre jung war, konnte ich bereits laut, leise und fehlerlos lesen. Das Lesen gehörte zu meinem Leben, wie das täglich Brot. Natürlich auch Tanz und Musik, aber so gerne ich auch später tanzte und musizierte, so favorisierte ich doch immer die Schrift, das geschriebene Wort. Zum Verfassen eigener Texte und Schriften fand ich erst kurz nach der Pubertät, aber die Lust am Lesen blieb stärker. Das Schreiben ist für mich ein quälender Prozess, ein ständiges Zweifeln, ein zähes Ringen um jedes Wort, um jede Formulierung. Viel einfacher und bequemer ist das Lesen. Warum sollte ich auch selber etwas schreiben, was andere bereits schöner und flüssiger aufgeschrieben haben? Ich bin ja auch von mir nicht so eingenommen, dass ich behaupten würde, meine Geschichten gibt es nicht ein zweites Mal auf dieser Welt, weil sie so außergewöhnlich schön und phantastisch sind. Obgleich ich natürlich hier auch irren könnte, schließlich bekomme ich viel Lob für meine Texte, wobei ich nicht genau weiß, ob man mir nur schmeicheln will. Nachdem ich Sartres Roman „Der Ekel“ vor vielen Jahren gelesen hatte, war ich schon froh, dass ich meinen im Alter von 14 Jahren geschriebenen Erstling, den ich übrigens „Melancholie“ nennen wollte, im Jahre 1968 nicht an einen Verlag geschickt habe.

Man hätte mir vorgeworfen, ein dreistes Plagiat abgeliefert zu haben. Immerhin wurde Sartres Meisterwerk als Hauptroman des Existentialismus bezeichnet. Es war wirklich nur Zufall, dass ich, genau wie Sartre, einen Roman über einen Historiker geschrieben hatte, der die Ursache für seinen Ekel in der Sinnlosigkeit und Zufälligkeit seiner Existenz erkennt. Immerhin, Sartre war doppelt so alt wie ich, als er den Roman schrieb.

Sartres Roman war einen Tick besser als meiner, aber ich habe mich sehr gefreut, als ich später erfuhr, dass Sartre seinen Roman, genau wie ich meinen, „Melancholie“ nennen wollte, aber sein Verleger den Titel „Der Ekel“ bevorzugte. Danach habe ich beschlossen, keinen Roman mehr zu schreiben. Meine Befürchtungen, ich würde irgendwann wieder ein literarisches Meisterwerk lesen, und darin eine Arbeit von mir erkennen, waren zu groß. Ich versuchte es dennoch, ich muss es gestehen, noch ein einziges Mal.

Im Alter von 16 Jahren wollte ich mir beweisen, dass ich etwas Eigenes schaffen kann. Ich wollte eine Geschichte über einen Jungen in meinem Alter schreiben, der wegen schlechter Leistungen kurz vor den Weihnachtsferien von der Volksschule verwiesen wird, aber aus Angst vor seiner hysterischen Mutter und dem beruflich erfolgreichen Vater nicht sofort nach Haus geht, sondern auf der Suche nach menschlicher Nähe und einer Zukunftsperspektive drei Tage lang durch Barmen irrt. Ich arbeitete Nächte durch, obwohl ich morgens früh raus musste, da ich eine Ausbildung zum Bürokaufmann absolvierte. Es war ein intellektueller Spagat, am Abend und in der Nacht so ein anspruchsvolles Werk mit einer offenen modernen Sprache und freimütiger Gesellschaftskritik zu schaffen, und auf der anderen Seite am Tag acht Stunden in der Registratur zu sitzen, um Rechnungen alphabetisch zu sortieren. Aber dann kam die Stunde der nächsten, bitteren Enttäuschung: Als ich meinem literarisch bewanderten Bruder die ersten zwanzig, mit einer Schreibmaschine angefertigten Seiten meines Manuskripts anvertraute, um ihn nach seiner Meinung zu fragen, war ich noch voller Hoffnung. Später kam er in mein Zimmer, legte mir die Seiten auf meinen Schreibtisch und meinte abfällig: „Ach, Uwe, Salinger hat den ‚Fänger im Roggen‘ schon 1951 selber geschrieben.“ Heute weiß ich, die Gedichtsammlung aus meiner Grundschulzeit bleibt für immer im Keller, ich habe keine Lust auf einen Rechtsstreit mit der Erbengemeinschaft von Theodor Fontane.

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