Kolumne Kirche in Erwartung

Wuppertal · Pfarrerin Ilka Federschmidt aus Wuppertal über Kirche in der Corona-Krise.

 Ilka Federschmidt - Freisteller

Ilka Federschmidt - Freisteller

Foto: Kirchenkreis Wuppertal

Was macht die Corona-Krise mit der Kirche? Fast einmal täglich werde ich das gefragt. Analysen? Einschätzungen? Prognosen? Und dann möchte ich „Halt!“ rufen. Gerade mal 12 Wochen – und wir analysieren uns ständig selbst, überholen uns mit Schlussfolgerungen. Natürlich macht die Corona-Krise etwas mit „der“ Kirche. Aber wie wäre es, erstmal Augen, Ohren, Herzen und Verstand weit offen zu halten, die Situation wahrzunehmen, aufmerksam zu beobachten? Wie wäre es, erstmal die „Antennen“ wachsam auszurichten – und zwar auf das „A und O“ der Kirche, auf Gott? Medial und öffentlich hat diese Ausrichtung freilich nicht gerade Hochkonjunktur. Aber für Kirche? Hoffentlich umso mehr. Wie wäre es, statt auf allerlei Erwartungen zu schielen – selber zu er-warten?

Ich erlebe meine Kirche wie in einer Art „Zwischenzeit“. Wir wurden kräftig unterbrochen in allen vertrauten Abläufen und in einem Wesenskern jeder Gemeinde: Im leibhaften Zusammenkommen. Wir haben es schmerzlich vermisst und die gegenwärtigen Einschränkungen machen uns spürbar etwas aus. Dennoch erlebe ich keine Resignation. Im Gegenteil. Das ist doch schon eine Beobachtung wert, oder? Und vielleicht beinahe ein biblisches „Dejà vu“? Die Bibel erzählt von den Anhängern Jesu in der Zeit nach Ostern, nach seiner Auferstehung, und vor dem Pfingstfest. Sie wissen: Er lebt. Durch Gott vom Tod auferweckt. Sie haben das Versprechen Jesu, dass Gottes Geistkraft sie erfüllen und beflügeln wird, bald. Aber sie sind „dazwischen“, unterbrochen. Zweifel, Verunsicherung und prickelnde Erwartung mischen sich, es liegt etwas in der Luft, aber sie können es noch nicht greifen. Sie warten. Mit wachen Sinnen und ausgerichteten Antennen. Kein Aktivismus, kein Feuerwerk an Präsenz, um sich selbst zu beweisen, aber eine unbedingt fruchtbare Zeit, weil sie Früchte bringen wird. Eine Art Wüstenzeit, Besinnungszeit.

So erlebe ich zurzeit vieles in unseren Gemeinden, unserer Kirche. Plötzlich reden wir wieder vom „Heiligen Geist“, Gottes Geistkraft, die verbindet über alle Kontaktbeschränkungen hinweg. Es bekommt einen neuen Klang, dass wir mit der Gegenwart von Jesus rechnen, den keine Kontaktbeschränkungen von uns abhalten kann. Wir entdecken Kostbares neu, das vielleicht allzu selbstverständlich wurde, wie den Gottesdienst, das Gebet. Es entsteht viel Erfindungsfreude: Die Andacht im Briefkasten oder zum „Pflücken“ von der Wäscheleine, der gesungene Choral vom Balkon, die kleine Gottesdienstfeier auf dem Rasen vor dem Altenheim. Das Internet wird theologisch entdeckt: warum sollte der Heilige Geist nicht auch durch das „Netz“ wehen können? Die Seelsorge wird nicht schwächer, im Gegenteil, genauso wie die diakonische Solidarität mit den Schwachen und Benachteiligten. Und ein Anruf bei jemandem Zuhause wird zur Trotzansage gegen die Macht eines Virus. Da liegt Gottes Wirken in der Luft und inspiriert uns, mehr zu erwarten, offen zu sein für weitere Entdeckungen.

Ein Hauch von Aufbruch und neuer Neugier. Wir sind eine Kirche, die kleiner wird und auf Sicht weniger materielle Ressourcen haben wird, ganz unabhängig von „Corona“, die aber hoffentlich eine lebendige und bewegliche Kirche sein wird. Ich wünsche mir sehr, dass wir der neuen Neugier folgen mit aufgestellten „Antennen“. Und dann mal sehen, was bleibt und was sich verändert, oder auch wir selbst (!) – oder was auf veränderte Weise bleibt. Die „Zwischenzeit“ kann eine sehr fruchtbare Zeit sein. Mir jedenfalls macht die Zuversicht und die schöpferische Erfindungsfreude in den letzten Wochen Mut. Da glimmen Funken der Leidenschaft für das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit. Das inspiriert zu einer Entdeckungsreise zu Ideen und Visionen, Träumen und Plänen, die noch auf uns warten mögen! Dass wir eine Kirche sind, die noch etwas er-wartet, das dürfen andere mit Recht von uns erwarten.“

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