Engagement Klaviermusik lässt Pendler am Hauptbahnhof innehalten

Wuppertal · Das öffentliche Instrument in der Bahnhofshalle ist sehr beliebt und sorgt für Harmonie im Alltagsstress.

 Marian Fricke entlockte dem Klavier bei der Eröffnung die ersten Töne.

Marian Fricke entlockte dem Klavier bei der Eröffnung die ersten Töne.

Foto: Fischer, Andreas (f22)

In der Mall des Wuppertaler Hauptbahnhofs hasten die Menschen eilig zu den Gleisen. Die Luft ist erfüllt von Dynamik, Anspannung und Hektik – und dann urplötzlich von Musik. Liebliche, harmonische Töne hallen durch die Einkaufshalle und bilden einen Gegenpol zum wuseligen Treiben. Die Atmosphäre ändert sich schlagartig.

Die unruhige Bahnhofshalle verwandelt sich in einen behaglichen, vertrauten Ort, weil ein junger Mann Klavier spielt. Die Passanten werden langsamer, bleiben sogar stehen, um ihm zuzuhören. Eine ältere Frau wünscht sich die Beethoven-Komposition „Für Elise“ und Mauris Schmitt erfüllt den Wunsch. Obwohl er, wie der 17-Jährige selbst sagt, das Stück gar nicht so gut kenne. Lieder wie „Lose yourself“ von Eminem und „See you again“ von Wiz Khalifa sind ihm da eher vertraut. Mauris Schmitt spielt an diesem Tag zum ersten Mal am öffentlichen Klavier in der Bahnhofsmall, ist aber bei weitem nicht der erste, der der Aufforderung „Spiel mit mir“ nachkommt.

Die Idee, ein Klavier am Bahnhof aufzustellen, auf dem jeder spielen kann, hatte Markus von Blomberg vom Verein „(M)eine Stunde für Wuppertal“. Bei einer Reise machte er einen Zwischenstopp in der Stadt Chamonix in Frankreich. Dort entdeckte er ein von jedem bespielbares Klavier am Bahnhof. Da er selber Klavier spielt, fand er die Aktion super und hatte die Idee, auch in seiner Heimatstadt Wuppertal ein solches Projekt einzurichten. Das Projekt konnte schließlich realisiert werden, weil „Piano Faust“ das Instrument zur Verfügung stellte. Klavierstimmer und -bauer kümmern sich seit der Eröffnung der Bahnhofshalle am 24. November um die richtige Einstellung.

Für Kevin (20), der oft dort spielt, und viele andere hat sich der Aufwand gelohnt. „Ich bin sehr dankbar“, berichtet er lächelnd. Auch Rojzerin (15) spielt fast jeden Tag auf den Tasten. „Musik hat eine befreiende Wirkung, weil man seine Gefühle dadurch ausdrücken kann“, sagt sie. Ein Gefühl, dass viele Reisende mit ihr teilen. Das lässt sich beinahe jeden Tag beobachten.

Alle Altersklassen probieren sich am öffentlichen Klavier aus

Einmal hält ein Pärchen am Klavier an, der Mann spielt etwas vor, danach geht es schnellen Schrittes weiter. Ein anderes Mal filmt eine Mutter ihre Tochter und einen Freund beim Musizieren. Und auch eine Gruppe Jugendlicher setzt sich ans Klavier, um für die Kamera zu posieren. Gespielt werden in den meisten Fällen Pop- und klassische Lieder. Solche, die den meisten Pendlern bekannt sind. Das kommt an. Gabi Glittenberg sagt etwa, dass sie die Aktion „ganz toll“ und „einzigartig“ findet. Kurz zuvor hatte sich die 71-Jährige noch selbst an die Tasten gesetzt und „Hänschen klein“ zum Besten gegeben. „Das ist das einzige, das ich kann“, sagt sie lachend.

Auch eine Gruppe von vier elf- bis zwölfjährigen Jugendlichen hat das Klavier an diesem Nachmittag für sich entdeckt. Obwohl sie noch keine richtigen Stücke spielen können, klimpert einer abwechselnd am Klavier, während die anderen dazu klatschen. Ein Junge beginnt sogar zu tanzen. „Das ist cool, dass hier jeder spielen kann, weil nicht jeder ein eigenes Klavier zuhause hat“, erzählt er.

Karl Sich freut sich, dass Kinder und Jugendliche durch das öffentliche Klavier ein Instrument kennenlernen. „Vielleicht bleibt ja der eine oder andere interessiert und lernt es dann richtig“, sagt er mit Blick auf einen 15-Jährigen, der sich gar nicht mehr vom Klavier trennen will. Und so muss seine Mutter noch warten, bis die Reise weitergehen kann. „Das ist eine schöne Aktion“, sagt Sich, der ebenso wie Iris Klammer hofft, dass das Klavier noch lange unbeschädigt bleibt.

Markus von Blomberg sagt, dass das Projekt gut angenommen werde. Denkbar seien deshalb für die Zukunft auch spontane Konzerte. Sicher ist, dass die Musik ein wenig Druck aus dem Alltag nimmt und entschleunigt. Und kaum sind die letzten Töne einer jeden musikalischen Kostprobe verklungen, nimmt die Hektik neuen Anlauf.

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