Diskussion in Wuppertal Eugen Drewermann: Wer Frieden will, muss nein sagen können

Der Theologe, Kirchenkritiker und Psychoanalytiker sprach in Ronsdorf über die Friedensbotschaft der Bibel und aktuelle Missstände in der Welt.

 Eugen Drewermann war zu Gast in der evangelisch-reformierten Kirche in Ronsdorf.

Eugen Drewermann war zu Gast in der evangelisch-reformierten Kirche in Ronsdorf.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Eugen Drewermann hätte für seinen Vortrag in der evangelisch-reformierten Kirche in Ronsdorf wohl kaum einen besseren Zeitpunkt finden können. Seine Ausführungen in der voll besetzten Kirche stehen unter dem Titel „Meinen Frieden gebe ich Euch“ (Johannesevangelium 14,27) und es dauert am Dienstagabend nur wenige Minuten, bis der Theologe, Kirchenkritiker, Autor und Psychoanalytiker deutlich macht, in welchem Widerspruch dieses Motto zu den gegenwärtigen Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft steht. Mit der Aufkündigung des INF-Abrüstungsvertrages durch die USA sei die „atomare Wiederaufrüstung“ in vollem Gange. Die verantwortlichen Politiker gingen mit den Atomwaffen um, „als wären das Handgranaten oder Bajonette oder Küchenmesser“, sagt Drewermann.

Drastische Worte
über die Gegenwart

Die Zuhörerschaft zieht der mittlerweile 78 Jahre alte Theologe mit seinen Worten schnell in den Bann. Zunächst ist er in seiner Gestik recht sparsam: Mit der Rechten hält er das Mikrophon, die linke Hand bleibt ungenutzt, die Stimme weist kaum Modulationen auf, der Blick vom Rednerpodium geht leicht geradeaus in die Ferne. Dennoch hat Drewermann die ungeteilte Aufmerksamkeit des Auditoriums, merken die Anwesenden doch, dass hier jemand mit drastischen Worten eine Gegenwart beschreibt, die auf ein möglicherweise nicht sehr schönes Morgen zusteuert. Nach etwa 30 Minuten wird der Vortragende dann lebhafter, wechselt das Mikrophon in die andere Hand, gestikuliert auch einmal mit dem freien Arm, ruft laut seine Botschaft.

An zwei biblischen Geschichten macht der im westfälischen Bergkamen geborene Drewermann, der seine Doktorarbeit über „Die Struktur des Bösen“ geschrieben hatte, die zwei Seins-Optionen der Gegenwart deutlich. Da ist zum einen die Weihnachtsgeschichte, die von der Hoffnung auf Gott kündet, und zum anderen die Geschichte von Kain und Abel, die von Aggression berichtet und mit dem Brudermord endet. Die dahinterstehende, sozusagen erkenntnisleitende Frage lautet: Wie kommt der Frieden in die Welt?

Denn – das macht Drewermann mit einem Rekurs in die Psychoanalyse  deutlich: Die Aggression ist „keine genuine Anlage unserer Seele“. Sie sei ein Symptom dafür, dass wir „nicht mehr mit uns im Gleichgewicht“ sind. Die Menschen seien mit sich selbst unzufrieden und sähen in dem anderen nur den Konkurrenten, die Angst voreinander wachse. Hiergegen möchte der ehemalige römisch-katholische Priester das „Geheimnis des gelingenden Gesprächs“ setzen, die Zuwendung zum anderen als vertrauensbildende Maßnahme.

Politik, Theologie
und Psychoanalyse

Wer den Ausführungen Drewermanns lauscht, begibt sich auf einen Parforce-Ritt durch Politik, Theologie, Psychoanalyse, Philosophie und Wirtschaft. Mit deutlichen Worten kritisiert der Theologe die Politik der weltweit letzten Supermacht USA und ihrer Erfüllungsgehilfen in Deutschland und Europa. Die USA geben nach seinen Angaben 700 Milliarden Dollar pro Jahr für Rüstung aus, Russland liege mit 80 Milliarden deutlich dahinter. Auch die Angst vor China sei unbegründet, lägen die Rüstungsausgaben der Nato doch immer noch um ein Vielfaches über jenen der beiden genannten Länder.

Um der Spirale der Angst und Aufrüstung zu entkommen, müsse man sich Jesus als Vorbild nehmen und mit der einseitigen Abrüstung beginnen. „Frieden ist die Methode, um ihn zu erreichen“, sagt er mit Verweis auf Mahatma Gandhi. Man müsse die Bibel in diesem Sinne „noch mal neu lesen“. Es gehe darum, „nein zu sagen gegen alles, was Gott widerspricht“, erklärt Drewermann. Zum Abschluss rezitiert der 78-Jährige deshalb aus dem Text „Dann gibt es nur eins“ von Wolfgang Borchert, in denen mit einem mehrfach „Nein“ die Ablehnung des Krieges beschworen wird. Der Text gilt als Manifest der Friedensbewegung.

Rund 80 Minuten lang trägt Drewermann seine Ausführungen vor, ohne Zettel und Redemanuskript, ohne Stocken und Zögern. Zum Abschluss gibt es auch noch eine Diskussion mit dem Publikum. Eine junge Frau möchte wissen, wie es gelingen kann, dass Kinder im Geist einer besseren, dem Menschen zugewandten Welt groß werden können. Drewermann hat da mit Blick auf die „Selfie-Generation“ eher negative Einschätzungen. Mit der Entwicklung der Handys sei seit 1990 eine Vereinsamung der Menschen eingetreten, die „digitale Vernetzung“ sorge nur dafür, dass man sich kaum noch versteht. Drewermanns Rezept: als einzelner oder als Gemeinschaft einfach öfter mal nein sagen.

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