Was glauben Sie denn? : Corona-Tote sichtbar machen
Wuppertal Pastoralreferent Werner Kleine über die Pandemie, die vielmehr als nur Zahlenwerk und Statistik ist.
Die Pandemie ist abstrakt. Sie erscheint als Spiel von Zahlen und Variablen. R-Werte, Exponentielles Wachstum, Inzidenzen, Viruslasten, Übersterblichkeiten – die Pandemie ereignet sich in Zahlen, Tabellen und Statistiken. Bereits in den Frühnachrichten im Radio wird man mit den neuesten Tageswerten der lokalen Pandemiesituation geweckt. Zahlen machen eine Pandemie begreifbar – glauben jedenfalls manche. Was glauben Sie denn?
In der Corona-Pandemie ist mathematisches Wissen hilfreich, um das Infektionsgeschehen erfassen und bewerten zu können. Sinkende Werte der Virusreproduktion (der R-Wert) sind an sich gut, aber nicht immer positiv. Alles, was über „1“ ist, ist eigentlich negativ, weil das ein exponentielles Wachstum bedeuten würde. Wenn ein Infizierter mehr als eine Person ansteckt, steigt die Infektion. Erst wenn der Wert unter „1“ ist, kann sich die Situation entspannen – und das umso schneller, je weiter der Wert unter „1“ ist.
Im Dickicht der Zahlen hat sich aber so mancher Zeitgenosse schon in der Schule verirrt. Das geschieht auch heute noch. Und aus dieser Schulzeit rührt vielleicht diese numinose Ehrfurcht denen gegenüber, die mit Zahlen zu jonglieren wissen. Die Macht der Zahl nutzen deshalb heute noch viele von allen Seiten. Kaum jemand hinterfragt den numerischen Dschungel, jede und jeder sucht sich dafür die Statistik heraus, die gefällt. Dabei sind manche Zahlen sogar absolut, wie die Zahl derer, die an, mit oder durch Corona gestorben sind. Sie steht jeden Morgen in der Zeitung. Es ist eine Zahl, die nur wachsen kann. Weniger werden es nicht werden. Es ist eine nackte Zahl, nüchtern, emotionslos, abstrakt. Dabei stehen hinter dieser Zahl eine Menge Leben, die erloschen sind. Und es stehen Leben dahinter, die um dieses erloschene Leben trauern, denen ein Loch gerissen wurde: Wo „1“ war ist jetzt „0“. Hinter der Zahl der Corona-Toten steht eine viel größere Zahl an Partnern, Kindern, Enkeln, Freundinnen und Freunden, Nachbarn, Kolleginnen und Kollegen, für die dieser Mensch, der an, mit oder durch Corona gestorben ist, mehr als eine Zahl war. Deren Zahl wächst mit jedem Corona-Toten exponentiell.