Was glauben Sie denn? : Die Stadt der springenden Kühe
Jedem siebten Wuppertaler dürften die finanziellen Mittel fehlen, die wiedergewonnenen Möglichkeiten nach dem Corona-Lockdown zu genießen.
Wenn Kühe nach einem langen Winter im Stall wieder auf die Weide dürfen, ist oft kein Halten mehr. Da ist ein Springen und Hüpfen, eine Rennen und Stoßen. Die Freude über die Freiheit, den Duft des Grases, das Leben an sich ... all das kann man auch in diesen Tagen nach einem langen Lockdown erleben, als die Menschen wieder auf die gepflasterten Straßen und Plätze in die Außengastronomie stürmten. Ist das ein Jauchzen und eine Freude, die ausgezehrten Gestalten wieder an den jenen Tischen zu beobachten, die Leib und Seele allein im Stande sind zu nähren. Was ist da schon das Manna in der Wüste, was Wasser aus dem Felsen? Der Himmel auf Erden ist in der Außengastronomie! Was glauben Sie denn?
Wie so oft im Leben sieht man die, die im Licht stehen und die frühsommerliche Sonne genießen können. Die im Dunkeln aber sieht man nicht. Während sich die vielen Gerüchte um eine vermeintliche Coronadiktatur als offenkundig falsch erwiesen haben (wer hätte das gedacht?), gibt es allein in Wuppertal nach wie vor gut 50 000 Menschen, die als Regelleistungsberechtigte Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld beziehen. Jedem siebten Wuppertaler dürften damit die Mittel fehlen, die wiedergewonnenen Möglichkeiten zu genießen. Für sie ist es – Lockdown hin, Lockdown her – eine Normalität, zu der sie nicht zurückkehren brauchen, weil sie sie nie verlassen haben. Ist das normal in Wuppertal, der Stadt eines Friedrich Engels, Adolph Kolpings und Johann Gregor Breuers?
Die Ausnahmesituation der Corona-Pandemie hat Fakten geschaffen – und sie wird noch weiter Fakten schaffen, denn die Pandemie ist noch lange nicht am Ende. Die Verheißungen der Digitalität etwa haben sich als Segen und Fluch zugleich erwiesen. Die digitalen Möglichkeiten zeigten die Effizienz neuer kommunikativer Möglichkeiten auf, ließen aber auch die Sehnsucht nach analogem Erleben wachsen. Digital ist eben noch lange nicht das neue normal. Aber auch hier gilt, dass die Teilnahme am digitalen Leben nur für jene möglich war und ist, die es sich leisten können.