Meinung Kinder haften für ihre Eltern

Jede Medaille hat zwei Seiten. Auch die mit dem Schokoticket, das die Wuppertaler Stadtwerke einem Kind nicht mehr aushändigen wollen. Warum? Weil dessen Eltern die monatlichen Gebühren von zwölf Euro nicht bezahlt haben.

Da sind die Stadtwerke eindeutig im Recht. Wer eine Dienstleistung in Anspruch nimmt, muss den dafür geforderten Betrag begleichen. Das ist beim Friseur nicht anders als beim Zahnarzt und beim Telefondienstleister genauso wie bei Verkehrsbetrieben. Das ist die eine Seite der Medaille.

Die andere Seite zeigt das Kind. Sie zeigt ein Kind, das zur Schule will und soll, dass wieder und wieder mit der Situation konfrontiert wird, dass seine Busfahrkarte nicht bezahlt wird, es also schwarz fährt. Dieses Kind wird immer wieder erwischt, es wird immer wieder vorgeführt von Kontrolleuren, die freilich nur ihre Arbeit tun. Es wird gehänselt und drangsaliert von seinen Mitschülern. Kinder können grausam sein, sie verstehen nicht immer, was in dem anderen vorgeht.

Nun ist die Frage, wie reagieren die Wuppertaler Stadtwerke in so einem Fall, was sagt die Stadtverwaltung? Die WSW machen, was ein Unternehmen tun muss, das möglichst Sorge dafür tragen muss, dass die Einnahmen höher sind als die Ausgaben. Das ist im öffentlichen Personennahverkehr annähernd unmöglich und mag die Härte erklären, mit der das Unternehmen gegen Schwarzfahrer vorgeht. Aber gegenüber einem Kind, das vermutlich am wenigsten dafür kann, dass seine Eltern nicht willens oder in der Lage sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen?

Der Verweis auf den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr und dessen Statuten ist zwar billig, sei einem kommunalen Konzern aber gestattet, der wirtschaftlich denken und handeln muss. Der Stadtverwaltung, dem Sozialdezernenten Stefan Kühn jedoch steht diese Entschuldigung schlecht zu Gesichte. Auch wenn es anscheinend nur diesen einen Fall gibt, nur ein einziges Kind betroffen ist: Die Reaktion darauf ist keine Frage von Geld, sie ist eine Frage von Haltung. Das oberste Ziel aller Politik und Verwaltung in Wuppertal muss sein, dass auch Kinder von noch so selbstverschuldet vom Staat lebenden Eltern zur Schule gefahren werden, wenn ihr Weg dorthin zu weit ist. In diesen einen Fall geht es um 144 Euro — im Jahr. Und ginge es um 144 000 Euro: Wenn in solchen Fällen Kinder für ihre Eltern haften müssen, dann ist Wuppertal nicht mehr Wuppertal.

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