Kamioka, der Marathonmann

Dem Dirigenten der Sinfoniker bleibt in seiner Heimat keine ruhige Minute. Er hat Heimweh nach Deutschland.

Wuppertal/Tokio. "Ich freue mich sehr!" Toshiyuki Kamioka kann die Premiere kaum erwarten. Wie die WZ berichtete, erhält der Chef-Dirigent des Sinfonieorchesters den Von der Heydt-Preis 2010: "Das ist mein erster Preis in Deutschland. Dass ich ihn auch noch von meiner deutschen Heimatstadt bekomme, ist eine riesige Ehre."

Zumal der Zeitpunkt der Verkündung bestens ins Programm passte: Kurz vor dem Abflug nach Tokio hatte der 50-Jährige erfahren, dass er noch in diesem Jahr den Kulturpreis der Stadt entgegennehmen kann. Kein Wunder also, dass Kamioka die große Japan-Tournee sichtlich beflügelt begonnen hatte. Wer den künstlerischen Leiter des städtischen Orchesters seitdem im fernen Osten beobachtet, sieht allerdings auch, wie anstrengend das Mammut-Programm mit Wagner, Mahler und Mozart ist. Kamioka wird in Japan zum Marathon-Mann, dirigiert zehn Konzerte innerhalb von zwei Wochen, sprintet von einem Auftritt zum nächsten und hat am Ende auch noch genug Atem, um in die Verlängerung zu gehen: Wenn seine 88 Musiker bereits Kurs auf das Hotel nehmen, sitzt er im Foyer und schreibt fleißig Autogramme.

Denn der gebürtige Japaner kennt die Interessen seiner Landsleute: In Deutschland gibt es nach Konzerten höchstens Warteschlangen vor der Garderobe - in Japan sammeln sich Klassik-Liebhaber stattdessen, um geduldig auf den Star des Abends zu warten und ein gemeinsames Foto mit Kamioka zu erhaschen. Und wie fast alles im Land der aufgehenden Sonne ist auch das minutiös geregelt: Während in der Halle Zugaben verlangt und Blumen verteilt werden, stehen im Foyer bereits ein Autogramm-Tisch, Absperrbänder und CD-Verkäufer bereit.

Der Chef-Dirigent erfüllt alle Wünsche, wie man ihn kennt: mit einem freundlichen Lächeln. Man spürt aber auch: Der Erfolgsdruck, der auf seinen Schultern lastet, muss groß sein. Gehörte der Jubel bei der ersten Tournee vor drei Jahren zu einem Überraschungs-Erfolg, liegt die Messlatte beim Musik-Marathon diesmal ungleich höher. "Er hat seine Karriere ja bisher in Deutschland gemacht. Erst vor drei Jahren - mit unserem Orchester - wurde er hier richtig bekannt", sagt Keiko Keikuma-Hulverscheidt. Die Sinfonikerin muss es wissen. Sie ist selbst in Japan geboren und weiß, dass Kamiokas Karriere in Asien noch lange nicht den Höhepunkt erreicht haben könnte. Zumal die Begeisterung des Publikums für sich spricht.

Seit fast zwei Wochen wird Kamioka in seiner Heimat gefeiert. 14 Tage Japan - da sollte eigentlich genug Zeit bleiben, um mit der Familie ein fröhliches Wiedersehen zu feiern, alte Freunde zu treffen und neue Energie zu tanken. Könnte man meinen - und irrt sich gewaltig. Denn dem 50-Jährigen bleibt keine ruhige Minute. Nicht mal am Flughafen von Okayama hat er Zeit für ein entspanntes Pläuschchen.

Er sitzt zwischen wartenden Fluggästen, die neugierig, aufgeregt oder auch gelangweilt in Zeitschriften blättern, und greift ebenfalls zur Lektüre. Mit einem Unterschied: Der Chef-Dirigent greift zu keinem Magazin, sondern zur Noten-Mappe. Er lernt - bis kurz vor dem Abflug. Keine zwei Stunden später ruft er in der Yokohama Minatomirai Hall zur Anspielprobe. Weitere 90 Minuten später beginnt das Konzert, danach geht es nach Tokio. Denn schon am kommenden Tag wird er in der ehrwürdigen Suntory Hall am Pult stehen.

Da wundert es nicht, dass die Antwort auf die Frage, was das bisher schönste Erlebnis der Reise war, eher nüchtern ausfällt: "Die Tour ist sehr anstrengend, es gibt so viele Verpflichtungen." Der Nachsatz aber steckt voller Gefühle. Er klingt wie eine Liebeserklärung an Wuppertal: "Ich habe Heimweh nach Deutschland."

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