Johannes Pell: „Bei mir sind sofort Bilder entstanden“

Surrogate Cities/Götterdämmerung ist das wohl ungewöhnlichste Werk im Programm der Oper. Auch für den Dirigenten.

Johannes Pell: „Bei mir sind sofort Bilder entstanden“
Foto: A. Fischer

Der Widerstreit von Stadt und Land, ständige Veränderungen, Hektik, Stress, Lärm, Ruhe, Idylle, Wohlklang — das Leben hat Töne. Und die Töne bilden Surrogate Cities, so hat Heiner Goebbels die Stücke komponiert. Sie bilden in gewisser Weise ein Singtheater, das in der Wuppertaler Inszenierung um den 3. Akt von Wagners Götterdämmerung erweitert wird. So entsteht ein Vielklang, ein polarisierendes Werk, das die Sänger und Musiker hin- und her reißt. Das ist spannend, das ist anstrengend. „Eine Herausforderung“, sagt Johannes Pell. Der 35 Jahre alte Kapellmeister des Sinfonieorchesters hat auch morgen ab 19.30 Uhr im Opernhaus die musikalische Leitung für diese atemberaubende Reise durch das Klanguniversum zweier Jahrhunderte. „Nach der Premiere im vorigen Monat war ich richtig stolz auf unsere Leute. Das Orchester hat Moral bewiesen und gekämpft“, sagt Pell.

Die Werke von Heiner Goebbels sind nicht durchgängig leichte Kost. Auch für Profimusiker nicht. Aber sie sind hohe Kunst. „Weltmusik“, nennt Pell die Kompositionen. Wahrscheinlich tut er das zu Recht. Surrogate Cities wird seit seiner Uraufführung 1994 in Frankfurt auf allen Kontinenten und oft gespielt. „Bei mir sind sofort Bilder entstanden“, beschreibt Pell die Wirkung des Werkes auf sich selbst. Surrogate Cities sei keine Oper. Es sei immer als Konzeptstück geplant gewesen. „Es geht um die Stadt“, erklärt Pell. Diesen Fokus fasst Heiner Goebbels an einer Stelle seines Werkes, in dem er die Klänge sieben verschiedener Städte komprimiert und entlässt.

Die Wuppertaler Inszenierung von Jay Scheib überrascht mit der musikalischen Erweiterung um Wagners Götterdämmerung. Den zu hörenden 3. Akt bezeichnet Johannes Pell als das wohl Beste, was Wagner je geschrieben hat.

Dadurch, dass die annähernd vermutlich perfekte Komposition Wagners auf die teils schrägen, manchmal auch gewöhnungsbedürftigen, aber letztlich verständlichen Kompositionen Heiner Goebbels’ trifft und dadurch, dass Goebbels für sein Werk auf Texte von Heiner Müller, Hugo Hamilton und Paul Auster zurückgegriffen hat, entsteht eine Art musikalisch-theatralischer Opernabend, der alle Beteiligten fordert und vielleicht auch fördert.

Das Bühnenbild von Katrin Wittig, zusätzliche Videowände, das Orchester nicht im Graben, sondern verteilt und mit den Sängern auf einer Ebene macht Surrogate Cities/Götterdämmerung zum vermutlich ungewöhnlichsten Stück in der neuen Spielzeit. Für Johannes Pell ist es einer traditionsreichen Bühne wie Wuppertal würdig. „Der Zugang zu diesem Stück ist, sich selbst zu entdecken, sich die Frage zu stellen, was mache ich eigentlich“, sagt Pell. Gut möglich, dass Surrogate Cities/Götterdämmerung Antworten hat.

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