Interview mit Richterin Andrea Sauter-Glücklich über Jugendkriminalität in Wuppertal: „Da ist oft noch was zu retten“

Schnupperarrest, Erziehungscamps und ein neuer Knast: Die WZ sprach mit Richterin Andrea Sauter-Glücklich über Jugendkriminalität in Wuppertal.

Wuppertal. Jugendkriminalität gab es schon immer - natürlich auch in Wuppertal. Die WZ sprach mit Andrea Sauter-Glücklich über ihre Einschätzung der aktuellen Diskussion und der Situation in Wuppertal. Die Richterin am Wuppertaler Amtsgericht bearbeitet seit knapp zehn Jahren Jugendstrafsachen und sitzt als beratendes Mitglied seither im Jugendhilfeausschuss der Stadt. Wenn Sie zum x-ten Mal mit ein und demselben jugendlichen Straftäter zu tun haben, macht Ihnen die Arbeit dann noch Spaß? Sauter-Glücklich: Ja, ich sehe meine Arbeit immer noch als sinnvoll an und bin mit Herzblut dabei. Mit Frust im Bauch geht das nicht.

"Sport ist gut, aber kein Allheilmittel."

Derzeit ist viel davon zu hören, Jugendliche würden nicht hart genug angefasst. Sind sie eine nette Richterin? Sauter-Glücklich: Ohne eine gewisse pädagogische Erfahrung lassen sich Jugendsachen nicht bearbeiten. Mit Samthandschuhen werden die Jugendlichen aber nicht angefasst. Besonders in den Anhörungen, in denen es leider oft um nicht erfüllte Bewährungsauflagen geht, rede ich Klartext. Da herrscht dann schon ein etwas anderer Ton als in den Strafprozessen. Wie ist Ihre Meinung zu Schnupperarresten und den so genannten Erziehgungscamps? Sauter Glücklich: Meine Kollegen und ich würden uns für die absoluten Härtefälle den Schnupperarrest wünschen. Aber das muss erst einmal finanziert werden. Die Pauschalforderung nach Erziehungscamps ist Unsinn. Da schwingt viel zu sehr ein militärische Drill-Gedanke mit. Das klingt, als ob da Jugendliche gebrochen werden sollen. Viel wichtiger sind doch die emotionale Anbindung - an die Familie, die Schule oder eben ein Heim - und natürlich klare Strukturen und Regeln. Wie beurteilen Sie die Lage in Wuppertal? Sauter-Glücklich: In Wuppertal sind Polizei und Jugendamt gut vernetzt. Es gibt viele gute Ideen und Projekte, beispielsweise die Intensivtäterdatei, oder das Projekt Pid-Kid. Und die direkte Anbindung der Bezirkssozialdienste an die Schulen hilft Dauerschwänzen zu verhindern.

"Videoüberwachung an neuralgischen Punkten ist richtig."

Ist bei uns in Wuppertal also alles in Ordnung? Sauter-Glücklich: Ich kann die Ängste, insbesondere älterer Menschen, verstehen. Mit meiner Mutter habe ich das Thema Jugendkriminalität auch schon diskutiert. Da geht es sicherlich auch um gefühlte Sicherheit. Videoüberwachung an neuralgischen Punkten halte ich beispielsweise für richtig. Klingt ein bisschen nach dem Prinzip Abschreckung. Auch so ein Argument mancher Politiker. Sind unsere Gesetze zu schlaff? Sauter-Glücklich: Das Jugendstrafrecht zielt nicht auf Abschreckung ab. Es geht um Wiedereingliederung, Prävention und vor allem auch die Schadenswiedergutmachung. Unsere Gesetze reichen da völlig aus.Wo hakt es dann? Sauter-Glücklich: Der Sparzwang der Stadt führt beispielsweise dazu, dass Kinder nicht mehr aus problematischen Familien herausgenommen werden. Das ist einfach zu teuer geworden. Es muss aber mehr Plätze auch in geschlossenen Einrichtungen geben. Nach meinem Eindruck gehen in Teilen der Gesellschaft Wertmaßstäbe verloren. Zugespitzt gesagt: Hartz-IV-Familien werden immer mehr abgekoppelt. Und gerade bei Jugendlichen aus sozial schwachen Familien mit Mitgrationshintergrund entwickelt sich ein nicht nachvollziehbarer Begriff von Ehre. Das mündet dann leider auch oft in Gewalt. Ein zentraler Vorwurf lautet aber auch, dass es zu lange dauert, bis ein straffälliger Jugendlicher endlich vor Gericht steht. Wie ist das in Wuppertal? Sauter-Glücklich: Vier bis acht Monate lang dauert es, bis ein Fall vor Gericht kommt. Das ist relativ lang - eigentlich viel zu lang, angesichts der personellen Unterbesetzung aber nicht überraschend. Bei Polizei und Staatsanwaltschaft sieht das nach meiner Beobachtung nicht viel besser aus.

"Nicht jede Hartz-IV-Familie vernachlässigt ihre Kinder."

Ihre Meinung zum geplanten Jugendgefängnis in Ronsdorf? Sauter-Glücklich: Ich teile die Vorurteile gegen das Projekt nicht. Bei einem vernünftigen erzieherischen Konzept - und das schreibt das Gesetz vor - kann das für manche, die hinter Gittern beispielsweise ihre Ausbildung abschließen, sogar die letzte Rettung sein. Da kenne ich genug Beispiele. Die Ausnahme ist das jedenfalls nicht. Das klingt sehr optimistisch.Sauter-Glücklich: Jugendliche sind relativ ehrlich. Sie können sich nicht so verstellen, wie Erwachsene, die schon häufiger mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Nach meiner Erfahrung kann man mit Jugendlichen sehr offen sprechen. Da ist oft noch was zu retten. Vielen Dank für das Gespräch. Im Visier

Intensivtäter Seit mehr als einem Jahr hat die Polizei jugendliche Straftäter im Visier. Das "Bergische Intensivtäterkonzept" - kurz "Biko" - sieht unter anderem Hausbesuche und ein Punktesystem vor. Motto: "Du stehst unter Beobachtung". Derzeit hat die Polizei 36 jugendliche Intensivstraftäter in ihrer Kartei.

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