Interview im Begegnungszentrum: „Bei Mathe-Hausaufgaben geht es nicht um Religionsfragen“

Christen und Muslime lernen in Wichlinghausen gemeinsam. Ein Gespräch über Toleranz und Glauben.

Herr Kühn, Herr Aktas, in Wichlinghausen kooperieren CVJM Oberbarmen und Stadt mit dem türkischen Kultur- und Bildungsverein bei der Betreuung Jugendlicher. Wie kam es zu dem Projekt?

Stefan Kühn: Die Zusammenarbeit mit dem Verein besteht schon sehr lange. Denn was ihn seit jeher auszeichnet, ist sein Schwerpunkt: die Bildung. Und er war schon immer sehr offen. Es gab bereits früh gute Kontakte zu den Kirchengemeinden, zur Stadt und zu allen Parteien hier im Quartier — und deshalb kennen wir uns nun auch schon zehn Jahre.

Was wird für wen an der Wichlinghauser Straße geboten?

Yavuz Aktas: Bei der Hausaufgabenhilfe des CVJM kommen regelmäßig etwa 20 bis 30 Kinder und Jugendliche verschiedener Nationalitäten, Schüler von der 6. bis zur 13. Klasse. Hauptsächlich sind es Türken und Deutsche, aber auch einige arabisch sprechende Kinder und Italiener sind dabei. Zu Anfang gab es einige Hemmschwellen, aber mittlerweile fühlen sich alle sehr wohl.

Es geht also um Bildung im schulischen Sinne?

Kühn: Nicht nur. Auch um berufliche und praktische Qualifikationen, wie sie in Näh- und Kochkursen vermittelt werden. Und darüber hinaus wird ganz viel Sprachförderung vollzogen. Diesen Prozess wollen wir verstärken, durch Kontakte, Netzwerke. So ist auch die Zusammenarbeit mit dem CVJM entstanden — ein wichtiger Akteur im Stadtteil.

Wer leitet die Kurse?

Aktas: Ehemalige Lehrer, Ehrenamtler. Unsere Kursleiter sind alle Deutsche.

Jürgen Lemmer: Für uns ist wichtig, dass die Deutschkurse eine gute Qualität haben. Es nützt nichts, wenn — ich formuliere es mal salopp — Micky-Maus-Deutsch dabei raus kommt.

Wie begleitet die Stadt Wuppertal das Projekt?

Kühn: Wir sorgen vor allem dafür, dass solche Projekte öffentlich gefördert werden — wie durch die Förderung aus dem Bundesprogramm „Stärken vor Ort“.

Gibt es eine Art von Kontrolle durch die Stadt?

Kühn: Der CVJM ist vor Ort, die Lehrer, da brauchen wir nicht noch zusätzlich jemanden, der „kontrolliert“. Man kennt sich, es gibt Vertrauen untereinander.

Aktas: Es hat sich eine sehr gute Beziehung zum CVJM entwickelt, sie wird jeden Tag enger.

Trotz ja doch sehr unterschiedlicher religiöser Ausrichtungen?

Aktas: Ja — klar: Das ist doch überhaupt nicht unser Problem. Jeder hat seinen eigenen Glauben, uns geht es um Gemeinschaft. Darum, wie wir mit allen anderen in dieser Stadt leben. Wir wollen uns nicht als Migranten sehen, sondern als Teil Wuppertals. Zu uns kann jeder kommen. Egal, ob Christ, Jude, Deutscher, Araber.

Wie sieht das praktisch aus? Junge Christen lernen gemeinsam mit Jugendlichen, die gar nichts glauben, und mit Muslimen — kann das funktionieren?

Hayrullah Gümüsbas: Aber das ist doch gerade gut, diese Vielfalt. Mich hat fasziniert, wie der Verein damit umgeht. Wir wollen sie pflegen. Es herrscht eine gewisse Lockerheit: Niemand wird zu etwas gezwungen. Das spürt man.

Aktas: Es gibt viele Vorurteile. Muslime haben Probleme mit Christen, Christen mit unserem Glauben. Im Koran steht klar, dass andere Völker und Kulturen geachtet werden sollen. Unser Verein hat das Ziel, offen zu sein.

Das erfordert ein hohes Maß an Toleranz — von allen Seiten.

Alle: Ja!

Kühn: Es geht um Respekt. Nur mit gegenseitigem Respekt ist Integration möglich.

Gümüsbas: Und sie ist wichtig: Menschen wollen keine Isolation. Oft sind da Ängste. Sinnvoll wäre Transparenz in alle Richtungen — und in jeder Bevölkerungsgruppe. Wenn man sich kennenlernt, verschwindet meist die Furcht vor dem Fremden — und es ist gar nicht mehr so schlimm (lacht).

Achten Sie denn bei der Betreuung der Kinder unterschiedlicher Herkunft also auf — sagen wir mal — religiöse Neutralität?

Kühn: Bei Mathe-Hausaufgaben geht es nicht um Religionsfragen (lacht). Da ist es nicht besonders schwierig, religiöse Neutralität zu wahren. Wenn Kinder gemeinsam büffeln, mag es Konflikte geben — aber bestimmt nicht über Glaubensfragen.

Aktas: Für uns und den CVJM war von Anfang an klar, dass wir keine Diskriminierung und keine Beschimpfung dulden werden. Zu Anfang waren da ein paar Jugendliche — von unserer Seite, aber auch von deutscher Seite — die das nicht einsehen wollten. Die bleiben nun weg. So ist die Absprache. Wer den anderen nicht akzeptieren kann, ist bei uns nicht richtig.

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