Utopiastadt Online Im Lockdown trifft man sich auf ein Bier im digitalen Hutmacher

Elberfeld · Ein Gründungsmitglied von /dev/tal und dem Förderverein Utopiastadt baute die Räumlichkeiten am Mirker Bahnhof virtuell nach - um Geburtstag zu feiern.

 Der WZ-Avatar W.Zetti erkundigte den virtuellen Hutmacher. Hier gibt es den Stew.One Stream.

Der WZ-Avatar W.Zetti erkundigte den virtuellen Hutmacher. Hier gibt es den Stew.One Stream.

Foto: WZ Wuppertal

. Vor der Corona-Pandemie hat man sich schnell mal auf ein Getränk und eine Unterhaltung im Hutmacher in der Utopiastadt getroffen – im Lockdown ist diese Vorstellung wahrlich utopisch. Aber der Verein Utopiastadt und seine Freunde haben viele kreative Köpfe. Seit Dezember haben diese es wieder ermöglicht, die Räume an der Nordbahntrasse zu nutzen und sich mit Freunden und Kollegen dort zu treffen. Nur eben virtuell.

Gestartet wurden die digitalen Räume im C64-Stil zur Jahresabschlussfeier der Utopiastadt im Dezember. Die Optik ist angelehnt an die Grafik des Commodore 64, eines Computers aus den Achtzigern, den man in Deutschland auch Brotkasten nannte.

Die Räume sind aber eigentlich aus einem anderen Projekt entstanden: Informatiker Nico Heßler wollte im Oktober seinen Geburtstag feiern. Er ist Gründungsmitglied des Hacker-Spaces /dev/tal, das in das Gebäude der ehemaligen Gepäckabfertigung (GPA) im Mirker Bahnhof einziehen soll. Sein Geburtstag sei an einem Samstag gewesen, ein Tag, an dem man eigentlich etwas unternehmen kann. Aber nicht dieses Jahr. Nach einer Internetrecherche fing Heßler dann an, die Welt auf der virtuellen Plattform WorkAdventure nachzubauen. „So muss man nicht durch eine komplett anonyme Welt laufen“, sagt er. „Die Karte ist dann gewachsen, an meinem Geburtstag gab es nur die Räumlichkeiten der Gepäckabfertigung.“

Die Utopisten – so nennen sich dieVereinsmitglieder der Utopiastadt – beschlossen dann, ihre Weihnachtsfeier dort zu verbringen. Seitdem wird die Utopiastadt immer weiter ausgebaut. „Jeder darf mitbauen und Vorschläge machen“, erklärt Vereinsvorstand Ralf Glörfeld. Manche kümmern sich um Grafiken, Video- oder Bildinhalte. Andere wiederum bauen die Räume. Zur Jahresabschlussfeier im Dezember sei das Projekt zudem zu einem mehrtätigen, in Leipzig stattfindenden Treffen der Hackerszene eingebunden und weltweit mitgenutzt worden - beim sogenannten Chaos Communication Congress. Subkontinentaler Besuch kam auch zu Heßlers Geburtstagsfeier, als ein Kollege aus Australien kurz vorbeischaute. Aber auch Silvester trafen sich einige Menschen im virtuellen Hutmacher und in der Bilbar, einem an der Trasse gelegenen Unterstand.

Das Projekt zu nutzen ist ganz einfach: Jeder der auf die Website Utopiastadt.Online schaut, hat die Möglichkeit, sich dort einen Avatar selbst zu erstellen oder auszuwählen. Mit dem gewählten Avatar geht es dann schnurstracks in die Utopiastadt. Nutzer haben zu Beginn die Möglichkeit, ihre Kamera und ihr Mikrofon einzuschalten. So kann man sich mit jedem, der einem begegnet, per Videochat unterhalten.

„Wer sich da so trifft, weiß im Prinzip keiner. Es ist eine offene Plattform“, sagt Glörfeld, „Man verabredet sich oder läuft sich so über den Weg.“ Bei Verabredungen bewährt es sich, einen festen Treffpunkt auszumachen. Denn die virtuelle Utopiastadt ist genau wie ihr analoger Vorreiter komplex und groß. So gibt es das ganze Bahnhofsgebäude Mirke, darin das Café Hutmacher, den Garten, das Zirkuszelt und den restlichen Utopiastadt-Campus. Außerdem ist die Nordbahntrasse selbst ein Teil der Online-Welt. Hier und da entdeckt man den ein oder anderen Beitrag, der auf die Webseite der Utopiastadt verlinkt und aufklärt. Etwa über die Kaffeemanufaktur Talbohne, in der Kaffee geröstet, zubereitet und verkauft wird. An anderen Stellen sind Videos und Streams zu finden. An der Trasse gibt es beispielsweise ein Video vom 2015 veranstalteten ersten Trassenrave, einer elektronischen Musikveranstaltung.

Auch W.Zetti hat die Utopiastadt online besucht und mit einem der kreativen Erbauer im Chat gequatscht, total coronakonform. Per Zufall im Hutmacher angetroffen kam der Avatar der WZ ins Gespräch mit Richard Joos, der an der Utopiastadt online mitwirkt und erklärte, wie das virtuelle Weltenbauen funktioniert. Vor allem am Keller der Gepäckabfertigung (GPA-Keller) habe er mitgeholfen. Sowohl analog als auch virtuell. Im Realen kann aber nicht jeder einfach in den GPA-Keller spazieren, das ist nur online möglich. Denn die ehemalige Gepäckabfertigung bietet Raum für Projekte. Hier soll schließlich auch die Hackergruppe /dev/tal einziehen. Joos hat im Hauptgebäude der virtuellen Welt bei der Bestuhlung und den Holzschildern geholfen. „Es gibt die eigentliche Plattform ‚WorkAdventure‘. Die liefert quasi den technischen Unterbau“, erklärte Joos im Chat. In dieser Plattform könne man Welten anlegen. Dafür gebe es einen Level-Editor, in dem man die Räume gestalten kann. „Man kann schon selber machen, was man will. Ein Großteil der hier verwendeten Kacheln ist selbstgebaut.“ Das bedeutet, dass die Bauer zum Teil Fotos der Utopiastadt zum Erstellen der sogenannten Kacheln verwendet haben: Der Rindenmulch, der Bodenbelag auf dem Utopiastadt-Gelände, etwa oder die Bahnhofsfliesen. So könne man die Kacheln nach Belieben selber im Bildbearbeitungsprogramm gestalten und gemeinsam auf der Entwicklungsplattform bearbeiten. Elemente aus der analogen Welt machen das Ganze besonders. „Man erkennt die Räume schneller wieder“, so Heßler. Für die beiden werde Utopiastadt.Online ein virtueller Anlaufpunkt bleiben – solange es Corona-Schutzmaßnahmen gibt. „Wie bei jedem Projekt in Utopiastadt wird daran weitergebaut“, sagt Heßler. Mit den vorerst bestehenden Auflagen wird die digitale Utopiastadt weiterwachsen.

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