Hör ma: Paradiesische Barmer Steuer

Jürgen Scheugenpflug ist Wuppertaler Kabarettist und Leiter der Kabarett-Academy. In seinem satirischen Wochen-Rückblick kommentiert er Ereignisse aus dem Stadtleben.

April, April! Als am 1. April in der WZ die Nachrichterschien, das Finanzamt in Barmen prüfe künftig die Steuererklärungennicht mehr richtig, dachte wohl jeder sofort an einen Aprilscherz. Dennbislang galt in Bezug auf die Behandlung der Steuererklärung durch dasFinanzamt wohl das Wort Paulus "Prüfet alles, das Geld, pardon, dasGute haltet fest!” (1 Thes. 5,21) Der Witz ist, dass es kein Scherzwar. Denn höret: Personalabbau im dortigen Finanzamt macht es plötzlichnotwendig, an die Steuerehrlichkeit des gemeinen Volkes zu appellieren.

Schrecklichfür die notorisch misstrauischen Steuerbeamten, paradiesisch für diegeschröpften Einwohner der strukturarmen Region. Und ein gutesArgument, endlich ins gelobte Land Barmen zu ziehen. Innerhalb wenigerTage hatten sich nämlich die Grundstückspreise in dem verarmtenStadtteil nahezu verdoppelt.

Büroräume sind fast nicht mehr zubekommen, Bauanträge stapeln sich im Rathaus. Der marode Barmer Bahnhofwird jetzt Hauptbahnhof, während die Pläne für den Umbau desDöppersbergs wieder in den Schubladen verschwinden.

Der Alte Marktmutiert zum internationalen Finanzzentrum. Tausende potentiellerSteuerschummler ziehen jubelnd zum Barmer Finanzamt und feiern denDienststellenleiter Werner Mannheim und seine Mitarbeiter. Die bekannteMundartband "Striekspön” komponiert eine Hymne, Barmen erklärt sichautonom.

Was diverse Marketinggesellschaften und rührigePolitiker nicht in den Griff bekommen haben, schafft der ehemaligeKakaobeauftragte Mannheim im Handstreich. Entgegen der düsterenAussichten in Bezug auf die demoskopische Entwicklung Wuppertals wirdBarmen quasi über Nacht zu einer Steueroase mit bedeutenderökonomischer Zukunftsperspektive. Wer spricht heute noch vonLichtenstein, Luxemburg oder Monaco? Selbst Klaus Zumwinckel schöpftwieder Hoffnung und verlegt seinen Wohnort spontan nach Barmen.

Wildwuchernde Sträucher, die aus den Mauerresten des Wupperstrandeszwischen Adlerbrücke und Alter Markt ragen, werden zum Zeugnis für"blühende Landschaften”. Erst jetzt bekommt die Metapher des ehemaligenKanzlers Kohl eine tiefere Bedeutung.

OberbürgermeisterPeter Jung erklärt unzähligen jubelnden Jüngern auf demRathausvorplatz, dass es "durch gemeinsame Anstrengungen mit denpersonell dezimierten Finanzbehörden gelungen ist, Barmen in eineblühende Landschaft zu verwandeln, in der es sich zu leben, zu arbeitenund zu schummeln lohnt”. Jetzt müssen wir nur noch die lästigenPolitessen loswerden.

Doch was wird nun aus Elberfeld,wo das Finanzamt die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat und nach wievor Steuererklärungen gnadenlos prüft? Die ehemaligeHochleistungsregion Elberfeld verkommt wohl zur ökonomischen Steppe undder Fußweg durch den Tunnel vom Hauptbahnhof zur Innenstadt bleibt diegrößte öffentliche Urinieranstalt des Bergischen Landes.

Doch hier spendet die kleine Schul- und Hausbibel Trost, "denn nicht für ewig verstößt der Herr!”

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