Wuppertaler Geschichte Historiker, Querdenker und fröhlicher Marxist

Jürgen Kuczynski aus Elberfeld machte eine ungewöhnliche Karriere.

Wuppertaler Geschichte: Historiker, Querdenker und fröhlicher Marxist
Foto: A. Hammer

Wuppertal. Aus Elberfeld stammt einer der sicher renommiertesten deutschen Historiker aller Zeiten: Der 1904 geborene Jürgen Kuczynski. Er kam aus einem ebenso berühmten jüdischen Elternhaus. Sein Vater, der damals international anerkannte Statistiker Robert René Kuczynski, wurde im gleichen Jahr Direktor des Statistischen Amtes in Elberfeld. Die Familie verließ Wuppertal schon recht bald Richtung Berlin. Jürgen Kuczynski machte eine ungewöhnliche Karriere.

Der Wirtschafts- und Geschichtswissenschaftler wurde später bekannt als einer der glamourösesten und populärsten Intellektuellen der DDR. Er war eine widersprüchliche Figur: Berater Erich Honeckers, mehrfach mit höchsten Ehren dekoriert und staatlich ausgezeichnet, galt er zugleich als einer der schärfsten Systemkritiker nach innen; 1958 ausgeschlossen aus der Volkskammer, Stalin-kritisch und unbequem, aufgrund seiner großen Popularität aber unantastbar.

Als politischer Mensch war Kuczynski seit den 20er Jahren erklärter Sozialist und seit 1930 Mitglied der KPD. Kautsky, Liebknecht, Luxemburg und die Sekretärin Lenins hatte er noch persönlich gekannt. Den Nazis entkam er 1936 nur durch rechtzeitige Flucht ins Londoner Exil. Nach dem Krieg bekleidete er zahlreiche wichtige Ämter in der DDR, mit deren realem Sozialismus er aber immer weniger anzufangen wusste. Es gelang Kuczynski dennoch, mit einer Professur für Wirtschaftsgeschichte wissenschaftlich Kariere zu machen. Mit der Partei hat er zu keinem Zeitpunkt gebrochen.

Kuczynski, der sperrige und selbstkritische DDR-Intellektuelle, der Historiker und Sozialist aus Elberfeld, hat die Wende als authentischer Kopf überlebt, ohne sich dabei den Hals zu verdrehen. Man bezeichnete ihn gern als Querdenker und fröhlichen Marxisten. Er selbst beschrieb sich einmal als linientreuer Dissident. Als Historiker war er enorm produktiv und wissenschaftlich anregend. Seine monumentale „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ etwa umfasste satte 38 dickleibige Bände. Mit seiner „Geschichte des Alltags des deutschen Volkes“ wirkte er geradezu stilbildend bei seinen Kolleg/innen vor und hinter dem eisernen Vorhang. Er hat der Nachwelt rund 4000 eigene Publikationen hinterlassen, davon zahlreiche Standardwerke, und eine Familienbibliothek mit mehr als 70 000 Titeln.

Er starb 1997 im Alter von fast 93 Jahren, begraben auf dem Berliner Dorotheenstädtischen Friedhof, in der Nachbarschaft von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Johann Gottlieb Fichte, Bertolt Brecht, Anna Seghers und - Johannes Rau.

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