„Herbert Cohnen schenkt uns seine Lebensgeschichte“

Bei der Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus hielt der Zeitzeuge die Erinnerungen an die Verbrechen wach.

„Herbert Cohnen schenkt uns seine Lebensgeschichte“
Foto: Stefan Fries

Eine ergreifende Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus richteten die Stadt Wuppertal und die Begegnungsstätte Alte Synagoge in der Citykirche aus. Weitere Stühle mussten herbeigeschafft werden, so groß war das Interesse. Auch Herbert Cohnen war gekommen, der selbst als Halbjude die Schreckensherrschaft der Nazis durchlitten hatte. „Er schenkt uns seine Lebensgeschichte“, würdigte Oberbürgermeister Andreas Mucke dessen Engagement in Schulen. „Wir müssen sicherstellen, dass diese Erinnerungen im Gedächtnis der kommenden Generationen fortbestehen können.“

Dazu dienen die in der Feier rezitierten Briefe, die im April auch als Buch herauskommen sollen. Der Wuppertaler Historiker Ulrich Föhse hatte ab Anfang der 1980er Jahre überlebende Juden angeschrieben, die aus Wuppertal in die ganze Welt geflüchtet waren, und sie um erhaltene Briefe gebeten. Ihre Antworten in den alten Schriften sind teilweise irritierend ob ihrer frohen Hoffnung auf einen guten Ausgang der Nazi-Herrschaft, teilweise verstörend in ihren trostlosen Schilderungen. 800 Briefe von 500 Menschen umfasst die Sammlung, die die Begegnungsstätte Alte Synagoge verwaltet. Julia Wolff und Thomas Braus von den Wuppertaler Bühnen lasen ausdrucksvoll einige Ausschnitte. So schildert Gottfried Menachem Taub in literarischer Qualität, wie er als Sohn eines Bayer-Chemikers unbehelligt in Elberfeld aufwuchs. Nur an Feiertagen besuchte seine Familie die Synagoge, sonst machte er Radtouren mit seinen christlichen Freunden oder spielte im Schulorchester.

Doch als sich die Oberherrschaft der Nazis abzeichnete, trat er 1932 dem zionistischen Jugendbund bei und verließ das Gymnasium, um sich mit einer Tischlerlehre auf die Aussiedlung nach Palästina vorzubereiten. 1936 ließ er seine Eltern in Deutschland zurück und lebte nun das harte Leben im Kibbuz, mit schwerer körperlicher Arbeit in sengender Hitze und wenig Lebensmitteln. 1941 eröffnete Taub gemeinsam mit einem Kollegen in Tel Aviv eine Drechslerei, die vor allem Blockflöten herstellte.

Immer wieder versuchen Eltern in Briefen, ihre erfolgreich geflohenen Kinder zu beruhigen: Sie seien gesund und guten Mutes, schreibt Martha Glaser wenige Tage vor ihrer Deportation an ihren Sohn in Holland: „Wir reisen mit fast der ganzen Wuppertaler Gemeinde“ — doch vorausschauend fügt sie hinzu: „Seid bitte stark!“ Oder Max Inow lässt seine Verwandten in Amerika 1941 wissen: „Wir sind sehr optimistisch, dass wir uns sehr bald wiedersehen.“ Selbst aus den Lagern waren noch Briefe möglich, die die Wahrheit aber nur andeuten: „Alle Erwartungen sind übertroffen“, berichtet Harry Renberg 1942 aus Izbica und bittet um ein Päckchen mit Lebensmitteln oder Kleidung. Verzweifelt hingegen klingt Leo Löwenthal in seinem Brief 1941 an seine Tochter in Amerika: „Ihr müsst jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, um mir zu helfen, sonst ist es zu spät.“

Anrührend ist der Bericht von Julie Sostheim-Fleck 1945 an Marlies Orgler in Oxford über das Ende von deren Eltern im Ghetto von Theresienstadt. Ihre Mutter sei so tatkräftig gewesen, nie verzagt, schildert sie. Trotz der schwierigen Lebensumstände mit 21 Menschen in einem Zimmer ohne Betten habe sie geholfen, wo sie nur konnte. „Herrliche Konzerte“ hätten Hunger, Kälte und Entbehrungen vergessen lassen. Im September 1944 sei sie „gut aussehend“ in den Transport gestiegen, danach hätte niemand mehr etwas von ihr gehört.

Emma Schützmann an der Gitarre und Lotte Nuria Adler an der Mandoline nahmen die Stimmung der Briefe schön auf in ihren musikalischen Einlagen. Die beiden Studentinnen der Musikhochschule musizierten auf höchstem Niveau und in perfektem Zusammenspiel.

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