Interview „Ich will für Wuppertal rausholen, was rauszuholen ist“

Helge Lindh, Abgeordneter im Bundestag für die SPD, spricht über seine Ziele und die Flüchtlingsdebatte.

 Bundestagsabgeordneter Helge Lindh (SPD) vor seinem Wahlkreisbüro in Elberfeld.

Bundestagsabgeordneter Helge Lindh (SPD) vor seinem Wahlkreisbüro in Elberfeld.

Foto: Fischer, Andreas (22345680)/Fischer, Andreas (f22)

Die Tage von Helge Lindh sind derzeit turbulent. Die Fahrt auf einen Rettungsschiff für Flüchtlinge zuletzt war geprägt von bedrückenden Bildern und Anrufen im Zusammenhang mit dem Datenklau, von dem Politiker und Prominente betroffen gewesen sind. „Ich stand unter den SPD-Politikern anscheinen ganz oben auf der Liste, vor Lars Klingbeil und Florian Post“, sagt Lindh im Gespräch mit der WZ. Ganz neu war dem Wuppertaler SPD-Bundestagsabgeordneten die Situation nicht. Im vergangenen Frühjahr hatten unbekannte Social-Media-Konten Lindhs gekapert.

Herr Lindh, Ihr Parteigenosse, Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz hat sich für kanzlertauglich erklärt. Wäre er Ihre erste Wahl?

Helge Lindh: Herr Scholz nominiert sich nicht selbst, es gibt auch für Vizekanzler kein Selbsternennungsrecht zum Kanzlerkandidaten der SPD. Das hatte er aber auch gar nicht vor. Er hat lediglich gesagt, dass er sich das Amt zutrauen würde. An seiner Eignung ist auch nicht zu zweifeln. Es gäbe aber durchaus auch andere Kandidatinnen und Kandidaten in unserer Partei.

Zum Beispiel?

Lindh: Katarina Barley, auch Franziska Giffey. Sie schafft es, Menschen mit sehr unterschiedlichen Positionen zueinander zu führen. Und da ist ja auch noch Stephan Weil, der in Niedersachsen bewiesen hat, dass er Wahlen gewinnen kann. Aber grundsätzlich ist es noch viel zu früh, sich mit der Kandidatenfrage für 2021 beschäftigen.

Aber das Jahr 2019 ist noch jung und die Frage gestattet, was der Politiker Helge Lindh sich vorgenommen hat.

Lindh: Ich will für Wuppertal rausholen, was rauszuholen ist. Das gilt im Einzelfall für die Förderung bestimmter Projekte. Aber es gilt auch im Gesamten in der Bundesgesetzgebung.

Beispielsweise?

Lindh: Die Abschaffung des Solidarpakts für den Aufbau-Ost, das Teilhabechancengesetz und das Gute-Kita-Gesetz haben sich in unterschiedlicher Weise auch auf Wuppertal ausgewirkt.

Aber notorisch knapp bei Kasse sind Städte wie Wuppertal immer noch.

Lindh: Deshalb bin ich auch der Meinung, dass wir einen Altschuldenfonds brauchen. Erst recht, wenn es so kommt, wie Finanzminister Scholz vorhersagt. Wenn der Aufschwung schwächer wird, werden mittelfristig auch die Schuldzinsen wieder steigen. Dann wird es bitter.

Die Bundesregierung hat sich ausdrücklich die Stärkung des ländlichen Raumes auf die Fahnen geschrieben.

Lindh: Dagegen ist grundsätzlich auch nichts zu sagen. Aber das darf nicht dazu führen, dass Städte wie Wuppertal unter die Räder kommen.

Zumal Städte wie Wuppertal in der Flüchtlingsfrage vergleichsweise schwere Lasten tragen.

Lindh: Städte wie Wuppertal, die bei der Aufnahme, Unterbringung und Integration von Geflüchteten ein besonderes Engagement zeigen, verdienen auch besondere Anerkennung und müssen auch besonders vom Bund entlastet werden. Grundsätzlich gilt für Wuppertal wie für ganz Deutschland: Wir brauchen schnelle und gute Asylverfahren und eine geordnete Migration. Was dieses Thema angeht, spreche ich mich klar für ein Einwanderungsgesetz aus. Mit so einem solchen Gesetz hätten auch Menschen aus sicheren Herkunftsländern, wie beispielsweise den Maghreb-Staaten, die Chance, in Deutschland zu arbeiten. Davon würde unser Land und Wuppertal im Besonderen profitieren, In einem Einwanderungsgesetz ließe sich Zuwanderung auch über Zahlen regeln. Mit Asylgesetzen geht das nicht. Ein solches Gesetz darf natürlich kein Bürokratiemonster werden, an dieser Stelle hat die FDP mal recht. Ich bin aber zuversichtlich, dass die zuständigen Ressorts unter Leitung von Hubertus Heil, Katarina Barley und ja, auch Horst Seehofer, das hinkriegen werden.

Wir haben derzeit in Solingen einen Fall von Kirchenasyl für einen Iraner. Ist das angesichts der teils hitzigen Flüchtlingsdebatte in Deutschland für Sie in Ordnung?

Lindh: Schwierige Frage. Wenn es um Abschiebungen nach Afghanistan geht, sage ich mit Blick auf die aktuelle Sicherheitslage nein. Es sei denn, es handelt sich um Gefährder, Straftäter oder sogenannte „hartnäckige Identitätstäuscher“. Die Abschiebung von Kriminellen kann ich mittragen. Was Kirchenasyl angeht, kann ich das im Extremfall nachvollziehen. Ich weiß auch, dass es sich die Kirchengemeinden damit nicht leicht machen. Ich finde allerdings traurig, dass es Kirchenasyl überhaupt geben muss.

Mindestens ebenso kontrovers wird derzeit über Seenotrettung debattiert.

Lindh: Auch da gilt, dass ich nicht für grenzenlose Einwanderung bin. Aber da sind Menschen in akuter Not. Die müssen gerettet werden, und dabei ist mir egal, ob sie einen Asylgrund haben oder nicht. Die Frage ist, helfe ich, oder helfe ich nicht. Für mich ist die Antwort klar, ungeachtet aller Verteilungsfragen. Was die angeht, hat Europa bisher allerdings nicht funktioniert.

Und ausgerechnet in dieser Zeit der Uneinigkeit wird im Mai das Europaparlament neu gewählt.

Lindh: Da kann man schon bestimmte Vermutungen haben, was den Wahlausgang angeht. Gerade deshalb bin ich so hartnäckig. Wenn sich nicht genügend Staaten solidarisch zeigen, dann müssen es eben wenige tun. Wir könnten jeden aus Seenot retten, wenn wir nur wollten. Aber als Staat wollen wir das nicht. Das ist zynisch. Wer, wie ich, vor Ort war und sich ein Bild von der Situation auf der Sea-Watch 3 gemacht hat, kann gar nicht anders, als sich für eine schnelle, wirksame und humane Lösung für die Menschen einzusetzen, die auf dem Mittelmeer festsitzen. Ich fordere Bundesinnenminister Seehofer auf, Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten. Bis wir eine europäische Lösung haben, sollte es denjenigen Städten, die ihre Bereitschaft bereits signalisiert haben, gestattet sein, die von Krieg, Flucht und Vertreibung geschundenen Menschen aufzunehmen. Darüber hinaus appellierte ich an das Auswärtige Amt und die Bundesregierung auch in dieser Richtung hinzuwirken.

Braucht es dazu nicht etwas mehr als die Bundesregierung? Ist dafür nicht ein globales Konzept notwendig?

Lindh: Das ist sicher richtig. Aber ich bin skeptisch, dass es eines geben wird. Wir schaffen es doch schon in der EU nicht, ein gemeinsames europäisches Asylsystem aufzubauen. Das liegt auch an Deutschland, das an den Dublin-Kriterien festhalten will. Die besagen, dass die Länder für Flüchtlinge zuständig sind, in denen die Flüchtlinge EU-Boden betreten. Das überfordert diese Staaten aber. Deshalb brauchen wir dringend ein europäisches Asylsystem mit einem klaren Verfahren, wir brauchen eine funktionierende Grenzschutzpolizei Frontex. Und das Einwanderungsgesetz, über das wir derzeit in Deutschland diskutieren, ist letztlich eine europäische Frage.

Haben Sie sich für 2019 eigentlich auch ein Gewinnerthema vorgenommen?

Lindh: Diese Frage stellt sich mir nicht. Darum geht es auch nicht. Wenn ich meine Themen danach aussuche, dann habe ich schon verloren. Es geht darum, Deutschland und Wuppertal solidarischer und menschlicher zu gestalten. Es geht darum, dass Deutschland ein freies, demokratisches und weltoffenes Land bleibt. Deshalb hat sich meine Partei auch entschieden, in die Regierung einzutreten. Ich erlebe täglich hautnah, wie angegriffen die Demokratie ist. Wir haben durchaus Erfolgserlebnisse vorzuweisen, wie den sozialen Arbeitsmarkt, das Kita-Gesetz und die Aufweichung des Kooperationsverbotes von Bund und Ländern in der Bildung, gegen die sich NRW allerdings noch sperrt. Vielen Menschen erscheint das jedoch nicht genug. Und ich finde, sie haben Recht. Da geht noch mehr und da muss noch mehr kommen!

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort