Hautkrebs: „Die Fälle haben dramatisch zugenommen“

Ein Arzt und Betroffene aus Wuppertal sprechen über Therapien und Vorbeugung.

Herr Professor Lehmann, es ist das wärmste Frühjahr seit langem — das zieht die Leute wieder mit knappen Textilien in die Sonne. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie mit einem Satz konfrontieren, der mir früher im Familienkreis gern zum Thema Sonne und Haut gesagt wurde: „Was rot ist, wird später braun.“ Ihre Meinung dazu als Arzt?

Percy Lehmann: Das stimmt natürlich gar nicht. Jeder Sonnenbrand schädigt die Haut extrem, und die Haut merkt sich das — über Jahre. Gerade Sonnenbrände in der frühen Kindheit sind schwerwiegend: Sie schädigen sogar die DNA in den Zellen, was dann über Jahre im Körper weitervermittelt wird. Das sind Schäden, die das Immunsystem nicht mehr reparieren kann — das führt dann letztlich zu Hautkrebs.

Frau Schüller, Sie haben seit Jahren in Ihrer Selbsthilfegruppe mit Betroffenen zu tun. Ist ein vorsichtiger Umgang mit Sonne inzwischen in den Köpfen angekommen?

Christine Schüller: Nein. In den Köpfen ist eher drin: Vor dem Urlaub ins Solarium, dann ab an den Strand, und immer schön braun werden.

Lehmann: Ich sehe das sehr häufig gerade bei über 60-jährigen Patienten, die mit deutlichem Lichtschaden zu mir kommen. Wenn ich dann von Hautkrebs-Gefahr spreche und die sich dann wundern, weil sie die letzten zwei Jahre gar nicht so viel in der Sonne waren. Aber der Schaden ist in den vergangenen 50 Jahren entstanden — weil bei uns jahrzehntelang einfach nicht bekannt, wie nachhaltig die Sonne die Haut schädigt. Dadurch kommt es, dass wir heute geradezu eine Epidemie von Hautkrebs haben.

Eine Epidemie? Gibt es Zahlen zu Erkrankungsfällen, vielleicht auch für Wuppertal?

Lehmann: Für Wuppertal nicht. Aber es gibt allgemeine Zahlen für Deutschland, die sagen: Hautkrebs ist einer der Tumore mit der steilsten Zuwachsrate in den letzten Jahren. Als ich mit der Dermatologie angefangen habe, waren 80 Prozent der Behandlungsfälle konservativ. . .

. . .das heißt, es war kein operativer Eingriff nötig?

Lehmann: Genau, Schuppenflechte oder Neurodermitis zum Beispiel. Nur 20 Prozent waren operativ. Heute ist es so: 60 bis 70 Prozent operative Fälle — das ist Hautkrebs. Wobei das nicht heißt, die anderen Fälle haben nachgelassen. Der Hautkrebs hat dramatisch zugenommen. In den USA etwa stirbt jede Stunde ein Mensch an einem Melanom, also dem besonders gefährlichen schwarzen Hautkrebs. Davon haben wir pro Jahr in Deutschland pro 100 000 Einwohner 15 Neuerkrankungen. Vor 15 Jahren war das noch die Hälfte.

Woran liegt das?

Christa Jung: Es ist einfach eine Sache der Mentalität. Wenn ich mich als Beispiel nehme: Ich bin ein hellhäutiger Typ und vertrage nicht viel Sonne. Kürzlich war ich im Urlaub eine Woche auf Mallorca und bin mit schneeweißen Beinen zurückgekommen, weil ich am Strand mit Mütze und Bluse herumlaufen muss — ich falle einfach auf. Überall heißt es dann hinterher: „Du bist ja gar nicht braun geworden.“ Diesen Satz kann ich nicht mehr hören.

Also der Gruppenzwang zum Bräunen ist nach wie vor da?

Jung: Auf jeden Fall.

Lehmann: Ich hatte jüngst erst ein älteres Ehepaar in der Klinik, dass das ganze Jahr über mit dem Wohnmobil unterwegs ist und die Wintermonate in Spanien verbringt. Beide wohlsituiert, beide tief braungebrannt — und mit Schäden, die einen Eingriff erfordern werden. Das ist die Schattenseite einer relativ wohlhabenden älteren Generation, die mit Sorglosigkeit im Umgang mit der Sonne groß geworden ist.

Wie lässt sich Hautkrebs behandeln?

Lehmann: Das wichtigste für eine vollständige Heilung ist die Fürherkennung. Zum Glück bezahlen die Krankenkassen inzwischen das Hautkrebs-Screening. Das kann beispielsweise beim schwarzen Hautkrebs lebensrettend sein. Für die Patienten heißt das: Wer an sich selbst etwas entdeckt, was da nicht hingehört, sollte zum Arzt kommen.

Welche Hauterscheinungen sind ein Grund dazu?

Lehmann: Jede Art von Gewächs, das neu auftaucht, sollte untersucht werden. Beim schwarzen Hautkrebs gilt zudem: Er entsteht oft aus normalen Muttermalen. Das heißt: Wenn ein Muttermal sich verändert, wenn es größer wird, wenn es mehrfarbig wird, unscharf ausläuft oder juckt, dann sollte man zum Hautarzt gehen. Der kann in der Regel mit einem Blick erkennen, ob es Hautkrebs ist.

Frau Jung, wie haben Sie entdeckt, dass Sie Hautkrebs hatten?

Jung: Es war eine Hautveränderung, die ich zunächst für eine Schuppenflechte hielt. Als ich an ihr immer wieder Beschwerden hatte, bin ich zu einem Vortrag von Frau Schüllers Selbsthilfegruppe gegangen — dort hat Professor Lehmann gesprochen. Erst danach war mir klar: Ich muss etwas unternehmen. Im vergangenen Jahr bin ich dann bei Helios operiert worden.

Sind Sie geheilt?

Jung: Ja.

Lehmann: Doch auch nach der Operation bleiben regelmäßige Kontrollen notwendig, einmal pro Jahr. Dabei schaut man von Kopf bis Fuß die Haut an, und wenn alles in Ordnung ist, geht man mit einem Händeschütteln.

Das klingt nun alles so, als sei eine Hautkrebs-Behandlung im Vergleich zu anderen Krebsarten ein Zuckerschlecken. . .

Jung: Es ist auf jeden Fall ein Klacks im Vergleich zu dem, was passieren kann, wenn man es nicht behandeln lässt.

Lehmann: Naja, das kommt allein schon darauf an, wo der Tumor liegt — gerade wenn er schon größer ist oder beispielsweise im Gesicht liegt, ist es eine aufwändige Operation und natürlich eine Belastung für den Patienten. Hautkrebs pustet man nicht einfach weg. Und beim fortgeschrittenen schwarzen Hautkrebs ist manchmal auch eine Chemotherapie notwendig. Noch einmal: Wenn man früh operiert, ist Hautkrebs vollständig heilbar. Deswegen ist mir auch die Öffentlichkeitsarbeit so wichtig.

Frau Schüller, kommt da Ihre Selbsthilfegruppe ins Spiel?

Schüller: Mittlerweile sehe ich das so, dass das eine unserer wichtigsten Aufgaben ist. Bei unseren Vorträgen sind häufig Menschen, die dadurch erst auf ihre Haut aufmerksam werden und genau hinschauen. Neulich habe ich zum Beispiel mit einer Frau gesprochen, die weißen Hautkrebs hat — aber sich nicht operieren lassen will, weil sie Angst vor den Narben hat.

Ist das eine der Tücken der Krankheit — dass man sie oft sehr schnell sieht und sich dann schämt?

Lehmann: Natürlich. Für uns Ärzte ist das ja ein Vorteil, dass man die Krankheit schnell erkennt. Aber dadurch, dass Hauterkrankungen sichtbar sind, stigmatisieren sie auch — das gilt nicht nur für Hautkrebs, sondern auch für Neurodermitis oder Akne.

Schüller: Davon kann sich ja auch niemand freimachen. Wenn man jemanden kennenlernt, ist das Gesicht einfach die erste Visitenkarte.

Zum Schluss: Was kann man tun, um sich vernünftig zu schützen? Gar nicht in die Sonne gehen?

Lehmann: Nicht übermäßig. Die Sonne hat natürlich viele positive Effekte, aber wichtig ist, dass man Sonnenbrände ganz vermeidet. Dabei kann ein Solarium übrigens nicht helfen. Und ich meine jetzt nicht: Alle ab in den Keller! Man kann in die Sonne gehen — nach langsamer Gewöhnung, mit genügend Sonnencreme und auch textilem Sonnenschutz. Und indem man beispielsweise beim Spanien-Urlaub zwischen 11 und 12 Uhr die Sonne meidet. Die Leute dort wissen das und wundern sich dann über die Touristen. Es gibt da sogar ein Buch eines Südamerikaners. Der Titel: „Nur Esel und Deutsche gehen mittags in die Sonne.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

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