Das sagen Eltern und Lehrer in Wuppertal Grundschulen bald im Regelbetrieb: „Viele sehen das als Experiment“

Wuppertal · Ab kommender Woche sollen alle Erst- bis Viertklässler in NRW wieder täglich unterrichtet werden. Aber was sagen Lehrer und Eltern dazu? Eine Umfrage in Wuppertal.

 Richard Voß (r.), Leiter der Grundschule Nützenberg und Vertreter der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, kritisiert, dass Risiken ignoriert würden und die Umstellung eine „Wahnsinns-Logistik-Herausforderung“ sei.

Richard Voß (r.), Leiter der Grundschule Nützenberg und Vertreter der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, kritisiert, dass Risiken ignoriert würden und die Umstellung eine „Wahnsinns-Logistik-Herausforderung“ sei.

Foto: Fries, Stefan (fri)

An den Grundschulen hatte sich gerade erst das neue System eingespielt. Jetzt müssen Leitung und Lehrkräfte noch einmal neu planen: Ab dem 15. Juni sollen alle Kinder wieder täglich in die Grundschule kommen. Wie das genau stattfindet, wie auch die Betreuung im Offenen Ganztag organisiert wird, daran wird jetzt gearbeitet.

Laut Schulministerium soll dann in den Grundschulen auf das Abstandsgebot verzichtet werden, stattdessen sollen „konstante Lerngruppen“ dazu beitragen, die Infektionsgefahr gering zu halten. Das sei in der Grundschule, in der noch viel Unterricht von einem Klassenlehrer erteilt wird, möglich. Die Klassen sollen also jeweils nur von einer Lehrkraft unterrichtet werden. Auch auf den Schulhöfen sollen sich die Klassen nicht mischen. Ist das nicht möglich, gilt das Abstandsgebot.

Babette Teichmann, Leiterin der Grundschule Mercklinghausstraße in Langerfeld, seufzt: „Wir hatten so ein tolles Modell.“ Die Schule hatte zusätzlich zum Unterricht einmal in der Woche pro Jahrgangsstufe noch Lernförderstunden angeboten, hatte so viele Kinder erreicht. Das gestaffelte Ankommen funktionierte gut.

Die Staffelung wird jetzt übertragen: Die Jahrgänge sollen mit 20 Minuten Abstand zur Schule kommen. Der Schulhof wird auch für die Jahrgangsstufen aufgeteilt. Wie es aber im Klassenraum laufen soll, wie die Sitzordnung auch bei 28 Kindern pro Klasse viel Abstand ermöglichen kann, „werden wir jetzt besprechen“, sagt Babette Teichmann. Sie hält es für angebracht, dass Lehrer einen Mundschutz nutzen, wenn sie den Kindern in deren Platz etwas erklären.

Ganz praktische Probleme spricht Michael Goecke, Leiter der St. Michael Grundschule in Uellendahl-Katernberg und Wuppertaler Vorsitzender der Verbands Bildung und Erziehung (VBE) an: „Wer räumt jetzt die ausgeräumten Tische und Stühle in die Klassenräume zurück?“ Die Lehrkräfte dürften das nämlich aus versicherungstechnischen Gründen eigentlich nicht. Er ärgert sich schon über die immer wieder kurzfristigen Änderungen.

In modernen Schulen lassen sich die Fenster zum Teil nicht ganz öffnen

An seiner Schule könnten sie die neuen Vorgaben ganz gut umsetzen, sagt er. „Wir haben in unserem Altbau breite Flure und hohe Räume, die sich gut belüften lassen.“ In anderen moderneren Schulen sei das schwieriger, dort seien zum Teil die Fenster nicht so einfach komplett zu öffnen. „Kipp genügt da nicht, es soll ja Stoßlüften sein.

Auch personell sieht er sich gut aufgestellt, nur zwei Kollegen werden wohl ausfallen, weil sie zu Risikogruppen gehören. Auch hier hat sich die Regelung geändert: Lehrer gelten nicht automatisch ab einem bestimmten Alter und mit bestimmten Erkrankungen als Angehörige einer Risikogruppe. Jetzt müssen sie sich das von einem Arzt bestätigen lassen, der ihre individuelle Gefährdung einschätzt. Konflikte sieht Goecke möglicherweise dabei, wenn Teilzeitkräfte ihre gesamtes Stundenkontingent für Unterricht einsetzen, Vollzeitkräfte aber nicht und dadurch ein Gefühl der Ungerechtigkeit entsteht.

Noch kritischer reagiert Richard Voß von der GEW (Erziehung und Wissenschaft): „Risiken werden ignoriert, Schutz vor Infektionen ist eine Farce. Das ist reine Symbolpolitik“, kritisiert er. Die Umstellung sei vor allem eine „Wahnsinns-Logistik-Herausforderung“, denn erneut müsse Unterricht geplant werden, weiterhin mit zu wenig Lehrkräften. „Das ist ein Riesenaufwand für zwei Wochen“, findet er. Seine Gewerkschaftskollegin Andrea Oppermann sagt: „Wir fühlen uns schon ein bisschen wie Versuchskaninchen.“ Es sehe so aus, als werde an den Grundschulen die Rückkehr zum Präsenzunterricht ausprobiert. Wenn es dann Ausbrüche gibt, könnten die durch die Ferien aufgefangen werden.

Das Argument führt auch Rüdiger Bein, Vorsitzender der Stadtschulpflegschaft: „Viele sehen das als Experiment“, sagt er. „Alle Eltern finden das sehr riskant“. Man frage sich, warum das in den letzten zwei Wochen noch sein müsse. Einige Eltern fürchteten auch um ihren Urlaub, wenn es zu Krankheitsausbrüchen kommt. „Dabei haben Eltern in den letzten Wochen viel mitgemacht“, erinnert er an die Zusatzaufgabe, die Kinder beim Homeschooling zu unterstützen.

Weil sie das Gefühl hat, dass Homeschooling nicht reicht, ist Vera Baust, Mutter eines Grundschulkinds, sehr froh, dass ihre Tochter wieder zu Schule gehen kann: Sie merke schon, dass sie nicht so gut vermitteln könne wie eine Lehrerin. „Alles macht auf, aber die Schule nicht. Was ist mit dem Recht auf Bildung?“

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