Gegen den Sprach-Exorzismus

Ein Deutschlehrer liest den Sprachverhunzern die Leviten – und fürchtet sich nicht vor Anglizismen.

Wuppertal. "Let the church in the Village" ("Lasst die Kirche im Dorf, brachial ins Englische übersetzt, Anm. der Red.): Diese allseits bekannte Standortempfehlung für Sakralbauten in ländlichen Räumen möchte man in der Tat am liebsten denjenigen - natürlich auf Englisch! - zurufen, die durch geradezu exorzistisch anmutende Radikalkuren die deutsche Sprache von Anglizismen befreien wollen.

Kein Denglisch

Nein, Verbote bewirken hier gar nichts. Dies musste schon die "Fruchtbringende Gesellschaft" im 17. Jahrhundert erkennen und weder konnte später der Haarkräusler den Friseur noch der Meuchelpuffer den Revolver verdrängen. Natürlich ärgere auch ich mich über Jil Sanders anglophiles Gestammel in einem Interview ("Wer Ladysches sucht, searcht nicht bei J.S.") oder das Unternehmen Bahn, das den Duft der großen, weiten Welt durch ein paar englische Wörter einzufangen glaubt. Dabei steht man sich am "service point" genauso die Beine in den Bauch wie am guten alten Schalter.

Aber ich arbeite mit dem Laptop und nicht mit dem Klapprechner, wie Walter Krämer vom Verein Deutsche Sprache vorschlägt. Ich würde auch nie Weichware von Winzigweich verlangen, sondern Software von Microsoft. Es ist immer das Vorrecht von Erfindern gewesen, die neue Dingwelt und manches andere nach ihrer Sprache zu benennen. So haben sich die Geldhändler des Mittelalters in den nord-italienischen Städten bis heute in der Sprache des Geldhandels verewigt und da die Italiener auch noch kreative Köpfe in der Musik waren, verwechselt man eben Adagio und Disagio.

Warum wir neben "rucksack" und "kindergarden" im Englischen die Zuständigkeit für seelische Krisen (german angst, weltschmerz) und Gefühlsduselei (german gemuetlichkeit) innehaben, weiß der Kuckuck.

Deutschlehrer Diepenthal

Doch Sprache holt sich auch Bedeutungen zurück. So hat nach Jahren sexuell-semantischen Abirrens das Wörtchen "geil" in etwa wieder die Bedeutung wie im Mittelalter angenommen. Meine Oma sprach noch Deuzösisch, schlief also unter dem Plumeau und ging auf dem Trottoir. Wir wandeln wieder auf dem Bürgersteig und kuscheln unter dem Oberbett.

Nein, das Vordringen von Anglizismen beunruhigt mich weniger als der immer schludriger werdende Umgang mit unserer eigenen Sprache. Sprache lebt vom Austausch mit anderen Sprachen und gewinnt durch ihn an Ausdruckskraft. Sie kann sich manche Fremdwörter regelrecht einverleiben. Wer weiß denn noch, dass der Windjammer einst von England heraufgesegelt kam und wörtlich übersetzt eigentlich Windpresser (to jam) heißt und keineswegs das Bild des Jammers im Unwetter versinnbildlicht? Auf die richtige Dosis kommt es an, auf die reflektierte Verwendung von englischen und anderen Fremdwörtern, die geeignet sind, das sprachliche Miteinander unserer Gesellschaft zu fördern.

Lasst uns nur sofort mit dem Quatsch aufhören, die armen Engländer mit deutschen Kunstwörtern wie Dressman, Twen oder Handy zu verunsichern!

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