Wuppertal „Für uns gibt es kein Zurück mehr“

Mehr als 100 Christen aus Syrien hoffen darauf, in Wuppertal dauerhaft eine neue Heimat finden zu können. Sie haben schwere Gedanken im Gepäck, und so manches in Deutschland kommt ihnen bekannt vor.

Pastoralreferent Werner Kleine (hinten 3.v.l.) im Kreise syrischer Christen.

Pastoralreferent Werner Kleine (hinten 3.v.l.) im Kreise syrischer Christen.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Wuppertal. Girgis legt jedes Wort auf die Goldwaage. Was sagen? Was besser verschweigen? Wer garantiert schon, dass das Gesagte nicht doch in falsche Ohren kommt. Nicht wieder die Tortur, nicht wieder diese Angst vor jedem Motorengeräusch, vor jedem Klopfen an der Tür. Girgis ist ein gepflegter junger Mann, 35. Auf der Straße fällt er wegen seines pechschwarzen Haares und der leicht dunklen Hautfarbe auf. Girgis ist Syrer. Seit ein paar Monaten lebt er in Sicherheit. Aber ganz sicher ist er sich nicht. „Ich bin Jurist“, sagt er. „Rechtsanwalt.“ Nun ist er in Deutschland. Seine Zukunft hat er in Syrien gelassen. Hier kann er mit seinem Studium, mit all seinem Wissen nichts anfangen. Girgiss Leben ist auf null gestellt. Aber er hat wenigstens wieder eines. Das sah vor ein paar Monaten noch ganz anders aus.

Es sah so aus, wie bei Jamil. Er ist Ende 20, Lehrer, Sozialpädagoge — und Deserteur. „In der Armee hätte ich töten müssen und getötet werden können“, sagt er. Jamil zog die Konsequenzen, Er flüchtete. Nun wird er gesucht. Assads Armee sucht ihn, weil er desertiert ist, die IS-Terrorbande sucht ihn, weil er Soldat war. Jamil will nur noch seinen Frieden und irgendwie wieder auf die Beine kommen.

Binyamin ist auf dem besten Wege, diesen ersten Schritt zu tun. Der Karosseriebauer ist mit Frau und zwei Kindern vor Krieg und Brandschatzung geflohen. In Wuppertal fühlt er sich sicherer. Ganz sicher noch nicht. Das verbindet ihn mit seinen Landsleuten. Sie alle wollen nicht, dass ihre richtigen Namen in der Zeitung stehen. Wer weiß denn schon, wer das liest? Assads Arm und die Verbindungen des IS scheinen weit zu reichen. Zumindest fürchten die syrischen Christen das. Wenn Binyamin ein bisschen Glück hat, kann er demnächst in einem Wuppertaler Betrieb ein Praktikum machen. Die katholische Kirche versucht, zu vermitteln. Sie kümmert sich intensiv um die Christen aus Syrien.

Für die hat sich mit dem Aufkreuzen der IS-Banden und dem Aufstand gegen das Assad-Regime alles verändert. „Plötzlich lebten wir nicht mehr friedlich neben Moslems“, sagt Girgis. Was jahrzehntelang unter dem Joch Assads funktionierte, war fortan unmöglich. „In Wirklichkeit lassen Moslems keine andere Religion zu“, sagt Girgis. Er fürchtet, dass Europa mit den vielen Moslems ein Problem importiert, das es bisher nicht kannte. Vielleicht ist das der Pessimismus eines Menschen, den Krieg und Terror von der Heimatscholle gejagt haben. Vielleicht ist islamischer Fundamentalismus weiter verbreitet, als die Europäer hoffen. Hinweise auf Schwierigkeiten sind auf jeden Fall nicht zu übersehen.

Werner Kleine ist Pastoralreferent der katholischen Kirche, Er glaubt fest daran, dass ein Zusammenleben von Religionen funktionieren kann. „Aber dazu müssen auch wir Profil bilden“, sagt er. Die Christen müssen sich erkennbar machen und sich wirklich interessieren. „Was wir Toleranz nennen, ist in Wirklichkeit Desinteresse. Dialog ist nicht Kaffeetrinken, das geht sehr viel tiefer“, sagt Kleine. Es gebe Unterschiede zwischen Christentum und Islam. Christliche Barherzigkeit richte sich an alle und jeden, egal welchen Glaubens, egal welcher Herkunft. Muslimische Barmherzigkeit hingegen seien Almosen für Arme, in erster Linie für Moslems, sagt er. Dann berichtet er von den beiden Irakern, die bei einem kurdischen Verein einen Kurs belegen konnten. Sie blieben nicht. „Man kann auch ohne Worte sagen, dass jemand nicht willkommen ist.“ Warum sollte in Deutschland auch ohne weiteres funktionieren, was im Nahen Osten seit Jahrhunderten nicht geht?

Die Vergangenheit holt auch syrische Christen in Wuppertal ein. So berichtet Binyamin von seinen beiden Kindern, die in Wuppertal eine Integrationsklasse besuchen. Sie sind die einzigen Christen unter Moslems. „Ungläubige“, sei noch das freundlichste Schimpfwort, dass die beiden sich anhören müssten. „Manchmal werden sie sogar verprügelt.“ Die muslimischen Kinder, sagt Binyamin, könnten nichts dafür. „Deren Eltern tragen Schuld.“

All das ist schlimm für die syrischen Christen in Wuppertal. Aber verglichen mit dem, was sie in Aleppo, Homs und sonstwo erleben mussten, ist das nichts, was sich mit einem bisschen guten Willen nicht überwinden ließe. in Syrien ist die Hölle losgebrochen, ein ganzes Land ist auf der Flucht. Für viele Syrer in Wuppertal ist die Flucht zu Ende. „Für uns gibt es kein Zurück mehr“, sagt Safniya. „Wir wollen uns hier ein neues Leben aufbauen. Nach dem Sprachkurs gehen wir arbeiten.“

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