Frühchen in Wuppertal - "Gute Chancen, selbst für die Kleinsten"

Im WZ-Interview erklären Kinderärztin Dr. Eva Maria Ruf und Kinderkrankenschwester Sigrid Sommer-Goymann, warum nirgendwo so strenge Hygienevorschriften gelten, wie im Perinatalzentrum an der Vogelsangstraße.

Es hat in der Vergangenheit mehrere Vorfälle von verstorbenen Frühchen gegeben — zuletzt an einer Bremer Klinik. Haben Sie daraufhin die Arbeit im Perinatalzentrum überprüft?

Dr. Eva Maria Ruf: Natürlich kontrolliert man nach solchen Vorfällen die Abläufe auf der Station. Ärzte, Apotheker, Pflegepersonal und der Bereich Arbeitssicherheit nehmen alle Bereiche erneut unter die Lupe, bei denen Fehler entstehen könnten. Die Hygieneverhältnisse sind jedoch nirgendwo so gut wie auf einer Frühchenstation, da auf dieser Intensivstation besonders strenge Hygienevorschriften gelten. Hier werden die Infusionen zum Beispiel steril hergestellt und auch mit den Eltern üben wir die richtige Handdesinfektion. Sigrid Sommer-Goymann: Ein Vorteil unserer Station ist außerdem, dass die Frühchen nicht in ein anderes Haus transportiert werden müssen. Kreißsaal und OP sind auf einer Ebene. Das erspart einerseits Stress für das Kind. Andererseits ist das Infektionsrisiko deutlich geringer.

Sind bei Ihnen auf der Station schon mal multiresistente Keime aufgetaucht, die zu Infektionen bei den Säuglingen geführt haben?

Dr. Eva Maria Ruf: In jedem Krankenhaus treten gelegentlich multiresistente Keime auf. Wir hatten im Perinatalzentrum diesbezüglich bisher zum Glück keine größeren Probleme. Sollte aber eine Infektion auftreten, werden die Säuglinge sofort isoliert und die Infektion entsprechend behandelt.

Was sind die größten Risiken für Frühchen?

Sigrid Sommer-Goymann: Das Immunsystem ist noch schwach, weshalb die Kinder grundsätzlich anfälliger für Infektionen sind. Dr. Eva Maria Ruf: Ein weiteres Risiko stellt die unreife Lunge dar. Viele Frühgeborene brauchen eine Beatmung oder Atemunterstützung. Sie trinken meist nicht selbstständig und brauchen deshalb künstliche Ernährung. Fast alle Frühgeborenen benötigen daher eine Sonde zur Ernährung. Über Sonden und Kanülen könnten eventuell Erreger in den Körper gelangen. Deshalb achten wir besonders darauf, dass die Kinder so schnell wie möglich ohne Infusion zurechtkommen.

Wie groß sind die Überlebenschancen?

Sigrid Sommer-Goymann: Jedes Kind ist unterschiedlich entwickelt. Aber ab der 24. Woche haben sie eine gute Chance. Manche kommen aber auch mit 22 oder 23 Wochen durch. Dr. Eva Maria Ruf: Das war früher noch anders. Es gibt heute Medikamente, die die Lungenreifung unterstützen. Auch die Beatmungsgeräte für Frühgeborene sind besser geworden. Sie sind mit besseren Sensoren ausgestattet. Die eigene Atmung des Kindes wird gemessen und nur bei Bedarf gezielt unterstützt. So können die Lungen viel besser trainiert werden.

Wie viele Frühchen schaffen es nicht und sterben bei Ihnen auf der Station?

Dr. Eva Maria Ruf: Frühchen sind ganz besondere Babys, denn sie kommen unreif zur Welt. Da die Medizin sich in den letzten Jahren immer weiter entwickelt hat, haben heute selbst die kleinsten Frühchen eine gute Überlebenschance. Dennoch schaffen es manche Babys trotz größter Anstrengungen leider nicht. Pro Jahr sterben ein bis zwei Kinder. Bei mehr als 1800 Geburten pro Jahr in der Klinik Vogelsangstraße liegt die Säuglingssterblichkeit damit unter dem bundesweiten Durchschnitt. Wichtig ist uns, dass die zurückgebliebenen Eltern bei uns auch nach dem Verlust weiterhin betreut werden — durch das Ärzteteam, die Seelsorgerinnen der Klinik und die Elternberaterinnen.

Wann werden die Säuglinge entlassen und können sie die Entwicklungsverzögerung aufholen?

Dr. Eva Maria Ruf: Sie werden meist rund um den errechneten Entbindungstermin entlassen. Sie sollten etwa 2,5 Kilo wiegen, selbstständig trinken und ihre Temperatur halten sowie keine Atemaussetzer mehr haben. In den ersten Jahren werden sie im Sozialpädiatrischen Zentrum auf ihre neurologische Entwicklung überprüft. Außerdem gibt es Krankengymnastik und Frühförderung und begleitende Kurse wie „Frühchen fit“ an der Elternschule. Sigrid Sommer-Goymann: Das Krabbeln, Laufen und Sprechen haben die Kinder mit spätestens zwei Jahren meistens aufgeholt.

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