Kolumne Wie uns Unsicherheit und Zuversicht zusammenbringen

Wuppertal · Uta Atzpodien vom Freien Netzwerk Kultur über andere Perspektiven.

 Uta Atzpodien vom Freien Netzwerk Kultur macht sich Gedanken über die Zukunft nach der Corona-Zeit.

Uta Atzpodien vom Freien Netzwerk Kultur macht sich Gedanken über die Zukunft nach der Corona-Zeit.

Foto: Ralf Silberkuhl

„Wir sind nicht sicher“: Wie eine stete Alarmbereitschaft hat sich ein mulmiges Grundgefühl breitgemacht, in mir, hier in Wuppertal, wohl auch weltweit, bis in die entlegensten Winkel unserer Erde. Wir sind nicht sicher, ob wir uns trotz aller Isolation nicht infiziert haben, dies noch tun werden oder andere infizieren. Wir sind nicht sicher, wie sich alles weiterentwickelt, was konkret nach der Osterzeit geschieht, welche wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und menschlichen Gefahren und Potenziale sich aus der Krise ergeben. Die Worte „Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“ stammen vom legendären Wortakrobaten Joachim Ringelnatz, der die Medien_Kunst_Nacht am letzten Wochenende inspirierte.

Die Zukunft hat uns eingeholt: Kuratiert von der Videokünstlerin Ilona Hellmiß wurde WirSindNichtSicher vergangenes Wochenende mit Werken von zehn Künstlerinnen und Künstlern in den Riedel-Hallen umgesetzt, nicht wie geplant als analoge Publikumsveranstaltung, sondern als Live-Stream via Stew.one, ein Kultureintopf-Portal, im spontanen Umgang mit der Herausforderung der Corona-Krise.

Einen Hyperraum erschufen Gregor Eisenmann und Achim Konrad inmitten der Hallen über eine mit Stoff verhüllte Kuppel mit virtuosen, fast psychedelischen Projektions- und Klangräumen. Wellen, Flüsse, Wassergläser, Regentropfen: Mich faszinierte, wie die Künstlerin Aki Nakazawa in ihrer filmischen Arbeit mit Wasser als bewegendem Element umging. „Undine“ nannte sie sie nach dem weiblichen Wassergeist, inspiriert von einem Klavierstück von Maurice Ravel und einer Erzählung des mexikanischen Schriftstellers Octavio Paz: Mi vida con la ola – Mein Leben mit der Welle. Für die Künstlerin symbolisiert Wasser ebenso Unsicherheit wie Freiheit, ganz wie das, was wir momentan leben.

Kunst kann am
Ende den Weg weisen

Eine Frau, die im Kreis rennt, hat sich über den Filmstream in mich eingebrannt. Seit elf Jahren rennt sie im Kreis, die aus Mazedonien stammende Künstlerin Irena Paskali, vor bisher 35 politischen, wirtschaftlichen und religiösen Machtzentren der Welt: Auf dem Roten Platz in Moskau, vor der UNO in New York, dem Buckingham Palace in London, in Jerusalem, Dubai, Havanna, Santiago de Chile, Brüssel oder Berlin. „Hoffnung“ heißt ihre Performance, in der Gebäude anonymer Macht und das Individuum kollidieren. Der Kreis als Symbol für die Ewigkeit, erklärt die Künstlerin, „ist uns Menschen gewidmet, um den Fokus auf das Handeln der Protagonisten für eine bessere Zukunft für uns alle zu legen“.

Weit mehr als ein tröstendes Gegengewicht kristallisieren sich im neuen Alltag Momente von Solidarität heraus, die für eine neue Freiheit stehen. Menschen verbinden sich, konkret handelnd, musizierend und klatschend, auf den Balkonen oder online. In all der Unsicherheit spenden sie Zuversicht, regen an, über den eigenen Tellerrand zu blicken. Hier und da. Wie vieles andere wurde das anstehende „Theater der Welt“-Festival, inspiriert vom kreativen Potenzial von Kindern, Jugendlichen, Frauen und Indigenen, auf den Juni 2021 verschoben. Den Festival-Fokus auf andere Perspektiven können wir einfach jetzt schon üben. Vor wenigen Tagen lenkte uns der Theatermacher Milo Rau, der ein Theaterprojekt im brasilianischen Urwald abbrechen musste, darauf, was Krise und Chance weltweit bedeuten können. Seien es Brasilien, Indien, Afrika und die Flüchtlingslager vor den Toren Europas: Nur solidarisch kann aus Unsicherheit neue Zuversicht entstehen. WirSindNichtSicher hat uns einen Geschmack davon gegeben: Kunst kann den Weg weisen.

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