Fotos erzählen Stadtgeschichte „Wenn der Scheich es will, stehen (fast) alle Räder still“

Wuppertal · Am 25. November 1973 herrschte Ausnahmezustand. Die Autos blieben in der Garage.

 Der erste autofreie Sonntag: Am 25. November 1973 wirkte der Döppersberg wie ausgestorben.

Der erste autofreie Sonntag: Am 25. November 1973 wirkte der Döppersberg wie ausgestorben.

Foto: WZ/Kurt Keil

Für den langjährigen WZ-Fotografen Kurt Keil war der 25. November 1973 einer der schönsten Arbeitstage in seinem langen Berufsleben. Mit einer Sondergenehmigung war er am ersten „autofreien Sonntag“ auf seinen dienstlichen Fahrten für die WZ fast alleine auf Wuppertals Straßen unterwegs.

Auf den Straßen und Autobahnen spielten sich an diesem Tag und an den folgenden drei Adventssonntagen kuriose Szenen ab. Die Menschen waren mit dem Rad oder zu Fuß auf den sonst so vielbefahrenen Fahrbahnen unterwegs, eroberten für einige Stunden die autogerechte Stadt.
„Man musste bei der Fahrt gut aufpassen, weil die Wuppertaler die Gelegenheit für Spaziergänge nutzten und viele Kinder auf Rollschuhen unterwegs waren. Es waren auch einige darunter, die mir mit der Polizei gedroht haben. Dann hielt ich ihnen meine Ausnahmegenehmigung unter die Nase, aber begeistert waren sie dennoch nicht, weil sie wohl das Gefühl hatten, dass das Verbot denn auch für alle gelten sollte“, erinnert sich Kurt Keil.

Es gab einige mit Ausnahmegenehmigungen. Polizei, Feuerwehr, Taxis und Ärzte mussten an diesen Tagen nicht ihre Fahrzeuge stehen lassen. Sondergenehmigungen erhielt die Presse, um ihre öffentlichen Aufgaben in der Berichterstattung wahrzunehmen. „Da waren die Fotografen ausnahmsweise die wichtigsten in der Redaktion, denn ein aktuelles Foto konnte man nur am Ort machen, während sich die Redakteure ihre Informationen auch telefonisch besorgen konnten. Ich konnte ohne Stress und Staus zu meinen Terminen fahren. Einfach herrlich.“ Vor allem Kinder und Jugendliche erlebten die autofreien Sonntage als großartige Gelegenheiten, ihre Stadt einmal ohne trennende Straßenbänder für sich zu erobern und wie ein großes Happening zu erleben.

Der autofreie Sonntag hatte allerdings einen sehr ernsten Hintergrund. Damals war er die politische Reaktion auf die Ankündigung von zehn Opec-Ländern, die Produktion in der Folge des Jom Kippur Krieges zu drosseln. „Wenn der Scheich es will, stehen alle Räder still“ - lautete der Slogan. Die Folge der Öl-Knappheit und steigender Ölpreise waren eine Wirtschaftskrise, Arbeitsplatzverluste und die Sorge der Menschen vor Versorgungsengpässen in einem langen, kalten Winter. In diesen Tagen war die Ölheizung im Keller ja noch der Standard.

Die Ölkrise veränderte Deutschland, denn ab dann wurde über Alternativen diskutiert. Die autofreien Sonntage wurden von der Bevölkerung mehr als Kuriosum und willkommene Abwechslung angesehen. Immer wieder einmal lebt in umweltpolitischen Diskussionen die Idee des autofreien Sonntags und der damals an Werktagen verordneten Tempolimits auf. Doch eine bundesweite Wiederholung hat es bisher nicht gegeben. In Wuppertal wurden 1989 Erinnerungen an die autofreien Sonntage durch den ersten langen Tisch geweckt. Zur Feier des 60-jährigen Bestehens der Stadt wurde von Samstagnachmittag bis zum frühen Sonntagmorgen die Talsohle für den Autoverkehr gesperrt. Und wieder entdeckten tausende Wuppertaler ihre Stadt aus einem ungewohnten Blickwinkel neu für sich.

Der Aktionstag „Autofreier Sonntag“, an dem sich im September Städte in ganz Europa beteiligten, hat in Wuppertal noch keine Nachahmung gefunden. Diese Aktionen beschränken sich auf Innenstädte, die zu autofreien Zonen erklärt werden. Kein Vergleich zu damals, als selbst auf den Autobahnen die Blechlawine für 24 Stunden stoppte.

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