100 Tage schwarz-grünes Kernbündnis „Es tut gut, alte Wege zu verlassen“

Wuppertal · Am Donnerstag, 14. März, wird das schwarz-grüne Kernbündnis im Rat 100 Tage alt. Zeit für ein Gespräch.

 Marc Schulz (l.) und Michael Müller.

Marc Schulz (l.) und Michael Müller.

Foto: Schwartz, Anna (as)

100 Tage Kernbündnis im Stadtrat. Ist es Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz, Herr Müller?

Müller: Sie müssen nicht alles glauben, was die FDP erzählt.

Die Frage hat mit der FDP nichts zu tun.

Müller: Wir sprechen und verhandeln auf Augenhöhe. Das ist die Voraussetzung, um vernünftige Kompromisse zu bekommen.

Schulz: Die CDU hat 19 Sitze im Rat, wir haben elf. Damit ist klar, wer zuerst steht. Aber unsere Gespräche orientieren sich nicht daran, wer die größere Fraktion hat, sondern an den Sachfragen.

In der Wahrnehmung des Kernbündnisses wirken die Grünen aber ein wenig lebhafter und die CDU vornehm zurückhaltend.

Müller: Ich habe den Eindruck so nicht. Wir sind in dem Trott seit 15 Jahren. Für die Grünen ist das ein neues Erlebnis. Die müssen sich erst einmal austoben.

Schulz: Genauso ist es ja. Wir waren in den vergangenen 14 Jahren Opposition. Da ist doch eigentlich klar, dass man unglaublich viele Ideen hat, was man anders machen möchte.

Wie verändert das Kernbündnis die Arbeit in den beteiligten Fraktionen?

Müller: Eigentlich hat sich nichts verändert.

Schulz: Ich merke schon, dass unsere Arbeit als Fraktion anders ist. Es ist unfassbar intensiv, was wir an Abstimmungsgesprächen zu führen haben, nicht nur mit der CDU, sondern auch mit anderen Fraktionen. Denn wir haben zusammen ja keine Mehrheit. Nun kommen auch Leute aus der Verwaltung auf uns zu, die jahrelang mit uns nicht gesprochen haben.

Müller: Das war ja das Problem.

Schulz: Das ist eine Riesenchance. Der Rat ist nicht mehr nur das warme Bett, in das die Verwaltung sich legen kann. Die Verwaltung muss der Politik zuarbeiten und um Unterstützung ihrer Arbeit werben. Das gilt im Übrigen auch für den Oberbürgermeister. Das ist für alle eine Umstellung, aber ich glaube es tut der Politik gut, dass wir alle unsere eingefahrenen Wege verlassen müssen.

Die neue Konstellation birgt das Risiko, auf Stimmen angewiesen zu sein, die Sie sicher nicht wollen.

Schulz: Ich werde auch weiterhin alles daran setzen, dass wir auf deren Stimmen auch weiter nicht angewiesen sind. Aber das ist nicht nur unsere Aufgabe, sondern die Aufgabe aller, ob man nicht eine gemeinsame Position finden kann.

Müller: Das ist auch die Aufgabe des Oberbürgermeisters. Ich habe aber auch immer gesagt: Wenn wir die Mehrheit nicht haben, dann ist das so. Ganz einfach.

Schulz: Wir haben auch vor der Abstimmung über den 5. Dezernenten immer gesagt, dass es auch sein kann, dass wir keine Mehrheit haben. Wer unterstellt, wir hätten nach irgendwelchen Stimmen geschielt, der verkennt, dass wir keine Mehrheit haben und dass wir wissen, dass wir keine Mehrheit haben. Wir haben aber die innere Freiheit zu sagen, dass sein kann, dass wir Abstimmungen verlieren.

Von welchen Ergebnissen Ihrer bisherigen Zusammenarbeit sind Sie am meisten überrascht?

Müller: Überrascht hat mich deshalb nichts, weil ich meine, mit der nötigen Ruhe heranzugehen. Überraschung entsteht aus Entscheidung in Hektik. Wir machen das mit einer gewissen Ruhe, auch mit dem Risiko, eine Abstimmung zu verlieren. Für uns ist die Kommunikation wichtig, nicht nur unter uns, sondern auch mit den anderen Fraktionen. Im Ergebnis haben wir in der vergangenen Ratssitzung sämtliche strittigen Abstimmungen zu unseren Gunsten entschieden. Alle.

Schulz: Genau. Das ist, was mich eigentlich am meisten überrascht. Mich hat nach 14 Jahren Opposition teilweise überrascht, was wir alles miteinander vereinbaren können.

Zum Beispiel?

Schulz: Der gesamte Komplex Bürgerbeteiligung, der Beschluss zum Bürgerhaushalt. Dass das so schnell eine gemeinsame Sache geworden ist, das hat mich schon wohltuend überrascht.

Sie haben zusammen das bezahlte Schulmittagessen beschlossen, Sie haben das Radhaus am Döppersberg abgewendet. Bis zur nächsten Kommunalwahl ist es noch hin. Was darf Wuppertal politisch von Schwarz-Grün im Rat bis Herbst 2020 noch erwarten?

Müller: Als nächstes steht mit der Verwaltung eine Diskussion über eine bürgerfreundliche Baumschutzsatzung an. Wir wollen da nicht jeden Tannenbaum schützen, sondern stadtbildprägende Bäume. Dann wird es um zusätzliches neues Bauland gehen, für Einfamilienhäuser, für Kleingewerbe. Die Diskussion wird im Laufe der Kommunalwahl an Lautstärke zunehmen. Wir haben in Wuppertal die Notwendigkeit, zusätzlichen Wohnraum zu errichten. Aber wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie wir neue Flächen schonend ausweisen können. Was ist beispielsweise mit den Parklätzen von Discountern, wenn dort Tiefgaragen entstünden, auf die Wohnungen gebaut werden?

Schulz: Aldi baut so etwa schon selber. Aber vielleicht gehen die Leute, die in Düsseldorf kein Bauland bekommen, auch in schöne, sanierte Altbauwohnungen beispielsweise in der Nordstadt. Dann haben wir noch Brachflächen wie Schotterparkplätze. Die sind wie leerstehende Büroflächen in der Vergangenheit nicht genügend betrachtet worden.

Müller: Wir brauchen andere Modelle für zukunftsfähiges Wohnen als nur dieses Einfamilienhaus. Ich frage mich, ob wir uns in Zukunft noch so etwas leisten können wie auf dem Bergischen Plateau. Wenn man den Leuten andere Modelle zeigt, dann muss es nicht mehr unbedingt das Einfamilienhaus sein. Ich glaube, dass sich da in den nächsten Jahren etwas entwickelt.

Schulz: Der Ratsbeschluss über die Suche nach zusätzlichen Flächen für Wohnbebauung hat ja den charmanten Nebeneffekt gehabt, dass die Verwaltung mit einem externen Unternehmen prüft. Dann schauen wir doch mal, was dabei herauskommt. Alles Weitere kann die Politik dann entscheiden.

Müller: Das wird alles über Bebauungspläne geregelt, und die werden hier im Rathaus beschlossen. Dann heißt es, Butter bei die Fische.

Schulz: Früher hätte die GroKo das beschlossen, heute müssen Mehrheiten gesucht werden. Dafür diskutieren wir im Rat und in den Ausschüssen.

Baumschutzsatzung, Bauland identifizieren und welches Thema haben Sie außerdem?

Schulz: Den Ordnungsdienst.

Inwiefern?

Schulz: Wir haben vereinbart, dass wir uns mit der Organisation des Ordnungsdienstes beschäftigen. Damit meine ich nicht mit der Arbeit der Leute dort, die kritisieren wir nicht.

Sondern?

Schulz: Die Fragen sind, was muss der Ordnungsdienst leisten, wie ist die Erwartungshaltung, wie ist sein Ansehen?

Müller: Wir hätten gern, dass sich der Ordnungsdienst mit Sperrmülltouristen beschäftigt. Das sieht manchmal aus, wie nach einem Bombenanschlag.

Für all das brauchen Sie dann aber auch 20 neue Leute.

Müller: Nein, nicht unbedingt.

Herr Schulz, würden Sie nach 100 Tagen Kernbündnis sagen, dass die CDU viel netter ist, als sie dachten?

Schulz: Es geht nicht um die Frage, nett oder nicht nett, sondern darum, ob man sich vorstellen kann, verlässlich miteinander zu arbeiten. Nett ist dabei natürlich auch hilfreich.

Und bei der CDU, Herr Müller, sind auch alle Vorurteile abgebaut?

Müller: Ja. Jetzt müssen wir Vertrauen aufbauen. Das dauert eine gewisse Zeit. Vielleicht reichen auch die 100 Tage dafür nicht aus. Aber entscheidend ist, dass man will.

Dann können wir ja zur OB-Kandidatenfrage kommen. Wissen Sie schon, wer für das Kernbündnis im nächsten Jahr zur Wahl antritt?

Müller: Wir haben da gewisse Vorstellungen.

Und haben Sie auch schon gewisse Namen?

Schulz: Nein. Aber wir gehen fest davon aus, dass es möglich ist, jemanden zu finden, der oder die unser Anforderungsprofil erfüllt.

Müller: Und es muss jemand sein, der sich nicht alles gefallen lässt, was wir miteinander so aushecken. Wir brauchen einen Kandidaten, der unabhängig von den Parteien im Stadtrat ist. So wie früher funktioniert das Rathaus nicht mehr. Wir brauchen jemanden, dem wir vertrauen und der nicht im Parteiklüngel hängt.

Wann soll der Kandidat gefunden sein?

Schulz: Das hängt vom Kandidaten und dessen Lebensumständen ab.

Müller: Genau. Das bestimmt der Kandidat oder die Kandidatin.

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