Erinnerung an Wuppertals größte Katastrophe

Gedenken: Am 30. Mai 1943 legten die Luftangriffe Barmen in Schutt und Asche. 3400 Menschen verloren damals ihr Leben.

Wuppertal. Es dauerte nur eine knappe Stunde, doch die Geräusche und Bilder dieser Nacht im Mai 1943 lassen Klaus Goebel bis heute nicht los. Neun Jahre war er alt, als er mit seiner Schwester, der Mutter sowie einigen anderer Bewohner in der Nacht zum 30. Mai 1943 im Luftschutzkeller des elterlichen Hauses in Heckinghausen Zuflucht suchte. Auch wenn sich viele Wuppertaler in Sicherheit wogen, bereits am Abend hatte sich in Radiowarnungen abgezeichnet, dass Wuppertal ein größerer Angriff bevorstehen würde.

"Es war kurz nach Mitternacht als die ersten Bombenanschläge in der Ferne zu hören waren", sagt Klaus Goebel, "und am Himmel waren die Christbäume zu sehen." Christbäume, so nannte man die Lichtzeichen, die das Angriffsziel markierten.

"Ich weiß noch, wie das Haus erzitterte, überall zerbarsten Fensterscheiben - es war ein schreckliches Gefühl der Ohnmacht und der Angst", erinnert sich der heute 74-Jährige. Er sitzt in seinem Wohnzimmer in Ronsdorf und ballt seine Hände zur Faust. "So haben wir dort gesessen - vor Wut, aber auch zum Gebet", erzählt er. Noch heute sitzen ihm die Qualen der Nacht in den Knochen.

So wie Goebel ergeht es fast allen Wuppertalern, die den Angriff damals miterlebten. Sie haben noch heute die Sirenen im Ohr, die Bombeneinschläge, sie sehen die Feuer über der Stadt und riechen den Rauch. Als sie am nächsten Morgen die Häuser verließen, bot sich ihnen ein bis dato unbekanntes Maß der Zerstörung.

Viele Menschen berichten, dass es mehrere Tage nicht richtig hell wurde. "An manchen Stellen war der Asphalt von den Brandbomben derart aufgeweicht, dass Menschen darin versanken. Überall lagen Leichen, viele waren durch den Phosphor auf die Größe von Kindern zusammengeschrumpft", sagt Goebel. In ihrer Verzweiflung hatten manche versucht, sich in die Wupper zu retten. Augenzeugen berichteten von "lebenden Fackeln".

Auch für Johannes Rau war der Angriff prägend. Immer wieder betonte der frühere Ministerpräsident von NRW und spätere Bundespräsident, dass damals sein Entschluss reifte, sich politisch zu engagieren, damit sich so etwas nicht wiederhole. Als 12-Jähriger war er an den Aufräum- und Löscharbeiten nach dem Luftangriff beteiligt und erzählte noch in späteren Jahren in Seminaren von Klaus Goebel von "den Bergen von Leichen", die er dabei sah.

Dort, wo einst Häuser standen, lagen bei vielen nur noch Schuttberge. Verwandte und Freunde waren verschollen. "An allen Häusern oder Ruinen hingen Zettel mit Vermisstenmeldungen", erinnert sich auch Elisabeth Zimmermann. Man fand Unterschlupf bei Freunden, Verwandten oder Nachbarn. Manche Familien hatten ihr gesamtes Hab und Gut verloren und, weitaus tragischer, große Teile ihrer Familie. "Es war der bis dahin verheerendste und verlustreichste Angriff auf eine deutsche Großstadt bis dato", betont Goebel, der sich als Historiker immer wieder mit diesem Thema befasst hat. "Und es war die größte Katastrophe, die Wuppertal erlebt hat."

Diese Nacht hat zahlreiche Einzelschicksale geprägt und sich zugleich ins kollektive Gedächtnis eingegraben. Noch heute ist die St. Antoniuskirche zum Gedenkgottesdienst am 30. Mai bis auf den letzten Platz gefüllt. Und noch heute spürt man die Tragik der Ereignisse, wenn die Menschen davon berichten, nicht selten mit Tränen in den Augen.

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