Else Sehle serviert den letzten Fisch

Nach knapp 60 Jahren schließt die Wirtin Hotel und Gaststätte „Haus Grunewald“.

Else Sehle serviert den letzten Fisch
Foto: Anna Schwartz

Lichtscheid. Else Sehle war überrascht. Mit so vielen Gästen hatte sie nicht gerechnet - schon gar nicht um kurz nach zehn Uhr morgens. Gekommen waren langjährige Kunden, Gäste und Lieferanten. Nach mehr als 59 Jahren hat die 88 Jahre alte Wirtin am Freitag ihr Hotel und die Gaststätte „Haus Grunewald“ an der Lichtscheider Straße aufgegeben. „Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen“, sagte Else Sehle. Sie habe ihren Beruf immer gerne gemacht. Doch gesundheitliche Probleme zwangen sie nun dazu, aufzuhören.

In den ersten 30 Jahren ihrer Tätigkeit als Wirtin unterhielt sie gemeinsam mit ihrem Mann das „Haus Grunewald.“ Als er starb, entschloss sich Else Sehle dazu, das Hotel alleine weiterzuführen. Bis dahin hatte ihr Mann die Gäste bewirtet - er war gelernter Koch - doch seitdem stand sie selber in der Küche. „Ich koche viel traditionelle Hausmannskost“, sagt sie. Berühmt seien ihre Steaks. Else Sehle lacht.

Für den letzten Mittagstisch hatte sie dennoch Fisch für ihre Gäste vorbereitet - wahlweise mit Kartoffelsalat oder Salzkartoffeln. Trotz ihres hohen Alters bereitete sie alle Speisen täglich frisch zu. In den vergangenen Jahren bekam sie dabei Unterstützung von Monika Schütze. Die Wirtin konstatiert: „Es ist kein leichter Beruf gewesen.“

Bereits ab sechs Uhr morgens konnten die Handwerker bei ihr frühstücken. Mindestens eine Stunde davor stand sie in der Küche, dann kamen bereits die Brötchen. Zu ihrem Angebot gehörten aber nicht nur Rührei mit Speck oder Kaffee, sondern auch warme Frikadellen und Würstchen zum Mitnehmen. „Wir gehen nach Else“, hätten die Handwerker und Monteure stets gesagt, wenn sie in das Gasthaus eingekehrt seien.

Bis in die Abendstunden hatte Else Sehle das „Haus Grunewald“ geöffnet. Wenn sich Gäste bei ihr einmieteten, hatte sie fast rund um die Uhr zu tun. „In der vergangenen Zeit ist es aber ein wenig ruhiger geworden. Das war auch gut so“, sagt Else Sehle. Am Freitag stand sie zwischen den kleinen Holztischen mit roten und weißen Decken und nahm diverse Blumensträuße, Sektflaschen und einen Kuchen entgegen, den die Bäckersfamilie, die Sehle immer belieferte, eigens für diesen Anlass hergestellt hatte.

In der Hand hielt die zukünftige Rentnerin ein Glas Sekt — spendiert von Gerd Halfmann, dem Einrichtungsleiter der CVJM Bildungsstätte an der Bundeshöhe. „In den vergangenen 15 Jahren hatten wir eine sehr enge Zusammenarbeit“, sagte er. Immer wenn die Gästezimmer in seiner Einrichtung ausgebucht waren, ließ er zusätzliche Zimmer im Haus Grunewald anmieten und Übernachtungsgäste dort unterbringen. Andersherum war es ebenso. Außerdem habe der CVJM dort immer die Weihnachtsfeier abgehalten, berichtete er. „Wir werden Else Sehle vermissen“, betonte Gerd Halfmann.

„Die Gäste sind traurig“, sagt Sehle. In den vergangenen Tagen seien sehr viele Stammkunden zu ihr gekommen, hätten ihr Bedauern ausgedrückt und Blumensträuße vorbeige-bracht. Die Theke war zuge-stellt von den Präsenten, die Zapfhähne nur noch zu erahnen. „Das Rentnerdasein wird eine große Umstellung für mich“, fasst Else Sehler ihre Situation zusammen.

Sie steht hinter der Theke, zusammen mit Monika Schütze. Bei einem Foto kommen ihnen die Tränen. Für die zierliche Wirtin beginnt nun ein Aufbruch ins Ungewisse. Eine Wohnung hat sie noch nicht gefunden. Sie hofft aber, irgendwo auf Lichtscheid oder in Ronsdorf bleiben zu können.

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