Eine Wuppertalerin erinnert sich an Deportation und Zwangsarbeit

Natali Braun wird am Samstag 90 Jahre alt. Sie wurde als junge Frau aus der Ukraine verschleppt.

Heckinghausen. Die Wand hinter dem Küchensofa ist voll gerahmter Fotos. Bilder von Hochzeiten, Babys und alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen längst vergangener Zeiten. Natali Braun, die am Samstag ihren 90. Geburtstag feiert, kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken.

Längst nicht alle Erinnerungen sind schön. Im Alter von zehn Jahren verlor die gebürtige Ukrainerin ihre Eltern, wuchs bei Tanten und Onkeln auf. „Mit 20 wurde ich von der deutschen Wehrmacht deportiert“, erinnert sie sich. Am 2. Februar 1944 wurde sie mit vielen Anderen in einen Viehwaggon verfrachtet — „anders kann man es nicht nennen“, sagt sie. Über hunderte Kilometer ging es nach Polen. Dort wurden die Juden aus dem Zug geholt und in die Vernichtung geschickt. „Für uns andere ging es weiter nach Deutschland.“

Am Ende landete Natali Braun in Mettmann, wo sie als Zwangsarbeiterin für die Reichsbahn tätig war. „Schwellen schleppen, Schubkarren schieben — es war eine harte Zeit“, erzählt sie. Und doch hatte sie Glück. Nach dem Krieg bekam sie eine Stelle als Schrankenwärterin. Über ihre dortige Pflegefamilie lernte sie ihren Mann kennen. „Am 9. Oktober 1948 bin ich zu ihm in die Siedlung Konradswüste gezogen. Und schon am 16. Oktober haben wir geheiratet.“

Gemeinsam baute das Paar ein Jahr später das Haus, in dem Natali Braun noch heute lebt. Sie hat beim Ausschachten mitgearbeitet. „Geholfen haben uns auch Schreiner und Dachdecker, die ich in Mettmann kennengelernt hatte“, erinnert sich die Seniorin. „Geld wollten sie nicht, ich habe ihnen zum Dank Gänse geschenkt, die wir selbst gezüchtet haben.“ Überhaupt haben sich Natali Braun und ihr Mann überwiegend selbst versorgt. Kaninchen und Gänse hinter dem Haus, Kartoffeln, Obstbäume und Sauerampfer im Garten.

Natali Braun über ihre Geburtstagsgäste

„Sauerampfer liebe ich“, sagt sie schwärmerisch. „Das koche ich gern. Mit Sahne und Butter, dazu Kartoffeln.“ Die kommen immer noch aus dem eigenen Garten. „Mein Schwiegersohn hat sie für mich gesetzt“, sagt Natali Braun. Aus den Früchten kocht sie immer noch selbst Marmelade und ihr Bettzeug ist mit den Daunen der eigenen Gänse gefüllt.

Tägliche Hilfe bekommt sie von Tochter und Schwiegersohn, die nebenan wohnen. „Mein Sohn wohnt mit seiner Frau in Frankfurt, meine beiden Enkel leben und arbeiten in Singapur. Aber einer von ihnen kommt zu meinem Geburtstag nach Hause.“ Dann werden auch ihre beiden Enkeltöchter kommen, die in der Region geblieben sind. „Und natürlich meine kleine Urenkelin Nele, unser Prinzesschen“, sagt sie und lächelt.

Wünsche für die Zukunft hat sie nicht. „Ich habe viel erlebt und viel überstanden — und später großes Glück mit meiner Familie gehabt. Das kann wirklich nicht jeder von sich sagen.“ In Wuppertal hat sie sich dauerhaft verewigt: Im Mai 2012 durfte sie sich mit anderen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen ins Goldene Buch der Stadt eintragen.

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