Begrabt mein Herz in Wuppertal Eine Putzstelle weniger

Uwe Becker über die Pausenaufsicht bei der Deutschen Bank und seine Rente.

 Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic.

Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic.

Foto: Joachim Schmitz

„Willy Brandt wird Aufsichtsrat bei der Deutschen Bank.“ Vor 50 Jahren hätte so eine Zeile aus einem Kabarett-Text der „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“ für großes Gelächter gesorgt. Aber niemals hätte es in einer Zeitung als seriöse Meldung stehen können. Mehr muss man eigentlich nicht zu Papier bringen, um den Zustand der Sozialdemokratie von heute zu beschreiben. Wenn ich Sigmar Gabriel wäre, würde ich meine Entscheidung zumindest Kindern glaubhaft erklären können.

Und zwar so: „Ein Aufsichtsrat, liebe Kinder, ist wie ein Lehrer in der Pause, der auf dem Schulhof die Aufsicht hat und Obacht gibt, damit die Kinder keinen Quatsch machen. Also dafür Sorge trägt, dass sie nicht rauchen und heimlich Alkohol trinken oder gewalttätig werden. In einer Bank muss ein Aufsichtsrat aufpassen, dass die Mitarbeiter mit dem Geld der Sparer gewissenhaft umgehen. Also keine riskanten Termingeschäfte machen, wie zum Beispiel darauf zu wetten, dass es am nächsten Mittwoch in Wuppertal regnet. Wenn dann nämlich überraschend die Sonne scheint, hat man unter Umständen ein paar Millionen Euro in den Sand gesetzt. Und dafür, dass er da gut aufpasst, damit so ein Mist nicht passiert, bekommt jeder Aufsichtsrat ein Gehalt. Das können 150 000 Euro oder mehr im Jahr sein. Lehrer bekommen nicht so viel Geld, da die Kinder, auf die der Lehrer in der Pause aufpassen muss, gar nicht so viel Geld haben, mit dem sie Scheiße bauen könnten. Höchstens vielleicht Zigaretten am Kiosk vis-à-vis kaufen, aber das passiert ja nicht so oft. Und wenn ein Lehrer sehr gut aufpasst, dann passiert selbst das nie, zumindest nicht in der großen Pause. Die Banker genau zu kontrollieren ist schon etwas schwieriger als Schüler zu überwachen, weil Banker manchmal Dinge tun, die ein Aufsichtsrat nicht direkt beobachten kann. Banker eröffnen gerne Sparkonten in fernen, exotischen Ländern, auf denen sie viel Geld von sehr reichen Kunden einzahlen, damit diese hier in Deutschland keine Steuern bezahlen müssen. Hierfür bekommt ein Banker ein wenig Geld zugesteckt, welches er auch nicht versteuert. Davon kaufen sich manche Bankangestellte Drogen. Und in der Pause ziehen sie sich gerne auch mal eine Linie Koks in die Nase – wie man das aus Kriminalfilmen kennt. Ich glaube aber nicht, dass mein Sachbearbeiter bei der Stadtsparkasse so etwas macht. Manchmal muss ein Aufsichtsrat aber auch beide Augen zudrücken, weil selbst die Bosse der Kreditinstitute gerne Dinge tun, die der Aufsichtsrat eigentlich verhindern müsste, weil sie verboten sind, aber nicht verhindern darf, weil die Bosse den Aufsichtsrat sonst entlassen würden. Wenn eure Eltern also über mich als Aufsichtsrat schimpfen, liebe Kinder, dann könnt ihr ihnen erzählen, wie schwierig es ist, wenn man es allen recht machen will.“

Wenn man den Sachverhalt so gut und verständlich erklärt wie ich den Kindern, müsste es doch auch für normale Erwachsene relativ einleuchtend sein. Der Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel hat kein finanziell unmoralisches Angebot angenommen, vielmehr hat er die schwierige Aufgabe aus Sorge und Verantwortung für unser Land und dessen Wohlergehen auf sich genommen. Natürlich ist das nicht wenig, was Herr Gabriel da für die „Pausenaufsicht“ bei der Deutschen Bank bekommt, da könnte man schon ärgerlich werden, aber sind wir doch ehrlich, wenn er den Job nicht macht, dann macht ihn ein anderer. Und wenn die Bank einen Aufsichtsrat weniger einstellen würde, dann würde dieses eingesparte Geld ja auch nicht an mich oder andere arme Leute verschenkt. Die Deutsche Bank würde für dieses Geld bei der nächsten Weihnachtsfeier des Vorstandes Peter Maffay oder Helene Fischer verpflichten. Es bringt also nichts, sich über alles aufzuregen.

Wo wir hier gerade über viel Geld reden: Ich muss dieser Tage beim Versorgungsamt meine gesetzliche Altersrente beantragen. Und ich möchte hier wirklich keine Neiddebatte vom Zaun brechen, aber wir reden da jetzt von über 500 Euro. Das ist nicht wenig, was ich da ab Juni monatlich zusätzlich zur Verfügung habe. Für mich heißt das im Klartext: Eine meiner Putzstellen kann ich dann aufgeben. Wie geil ist das denn?

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