Offen gesagt Eine Frage der Perspektive

Von Lothar Leuschen

Offen gesagt: Eine Frage der Perspektive
Foto: Schwartz, Anna (as)

Irgendwie hängt alles zusammen. Wuppertal ist zwar die 17. größte Stadt Deutschlands, auf der Rangliste der Straßennamensgeber steht die Stadt von Johannes Rau und Friedrich Engels aber nur auf Position 59. Ähnlich verhält es sich mit den Übernachtungszahlen. Die sind im vergangenen Jahr wieder einmal gesunken. Das kann der Chef des Stadtmarketings, Martin Bang, leicht auf die Menge und die Qualität der Hotels in Wuppertal zurückführen. Aber das allein wird es nicht sein. Denn selbst wenn es nicht genügend hochwertige Gästezimmer zwischen Vohwinkel und Beyernburg gibt, dann müsste wenigstens die Zahl derer höher sein, die Wuppertal für einen Tagesausflug nutzen. Aber auch das sind traurig, erschreckend, ja, fast schon skandalös wenige. Aber das hat Gründe. Wuppertal leidet unter einem schlechten Ruf. Nur 50 Kilometer weiter westlich glaubt ein jeder, die Stadt liege im Ruhrgebiet, sei grau und ärmlich — wie Gelsenkirchen, Bochum oder Hagen. Das ist nun schon seit Jahr und Tag so. Und ebenso lang ist es grundfalsch.

Dass Wuppertal eine der grünsten Großstädte ist, dass es über ein Jugendstil-Villen-Viertel verfügt, wie es größer in Deutschland keines mehr gibt, dass die Elberfelder Nordstadt in Teilen heute noch aussieht wie Berlin in seinen goldenen 1920er Jahren, dass die Stadthalle eben keine schnöde Halle ist, sondern ein Palast, ein Musentempel im besten und hochwertigsten Sinne, dass Wuppertal reich an Geschichte und noch reicher an Innovation ist, dass es in dieser Stadt eine Gesellschaft gibt, der das Leid des Nächsten nicht gleichgültig ist, dass es trotz aller Wunden und Schwierigkeiten ein Privileg ist, in Wuppertal leben zu können — all das wissen die meisten Menschen innerhalb, außerhalb Wuppertals wissen es zu wenige.

Das spricht dafür, dass in den vergangenen Jahrzehnten etwas falsch gelaufen sein muss im Stadtmarketing. Und das hat nicht nur mit Geld zu tun. Dennoch ist es zweifellos richtig, dass professionelles Stadtmarketing nicht gewissermaßen mit dem Erlös von Flaschenpfand-Sammeln betrieben werden kann. Als die Stadt ihre Eigenwerbung vor Jahren in eine eigene GmbH ausgliederte und Privatunternehmen wie Barmenia und die Sparkasse mit ins Boot holten, da hatten viele noch die Hoffnung, dass damit unternehmerische Expertise und Geld aus der Wirtschaft in die Stadtwerbung flössen. Wenig bis nichts davon ist eingetreten. Statt dessen reden die Privaten zwar entscheidend mit, wenn es um Personal und Standort geht, beim Bezahlen allerdings halten sie sich vornehm zurück und lassen der Stadt den Vortritt. Deshalb gibt es keinen Aufschrei darüber, dass die ohnehin finanziell gebeutelte Marketing-Gesellschaft in einen ebenso schmucken wie kostspieligen Neubau an der Geschäftsbrücke am Döppersberg ziehen soll. Die Miete bezahlen alle Wuppertaler mit ihren Steuern. Außerdem muss ja irgendetwas das umstrittene Café Cosa für Drogensüchtige verdecken, das hinter dem neuen Domizil des Stadtmarketings entsteht.

Von alldem wissen die Menschen außerhalb Wuppertals nichts — und das ist gut so. Schlecht ist, dass es in all den Jahren niemandem gelang, das ungerechtfertigte Bild zu verändern, das viel zu viele Auswärtige von dieser Stadt haben. Das 55. Modell der Schwebebahn scheint ebenso wenig Abhilfe zu schaffen wie die 56. Erzählung der Tuffi-Legende. Wer Wuppertal lieben lernen soll, der muss es kennenlernen. Deshalb sind Konzerte und Kongresse notwendig, deshalb sind Theater, Oper, Tanzzentrum und Stadthalle nicht nur Kosten-, sondern Werbefaktoren. Deshalb sollten auch Sportmuffel dem WSV und dem Bergischen Handball-Club die Daumen drücken, auf dass sie viele Fans aus ganz Deutschland anlocken mögen.

Vor Jahrzehnten hat Ernst-Andreas Ziegler als Leiter des Presse- und Werbeamtes einmal Journalisten namhafter Zeitungen für ein Wochenende eingeladen. Damals gab es noch keine Nordbahntrasse, der Döppersberg sah aus, wie er aussah, die Stadthalle hatte ihren Glanz noch nicht zurück, die Uni wuchs noch nicht, das Von der Heydt-Museum hatte noch keinen europaweit guten Ruf, den Skulpturenpark gab es nicht — trotzdem haben diese Journalisten nie wieder dümmliche Vorurteile über Wuppertal verbreitet.

Modernes Stadtmarketing kostet viel Geld, und es darf trotzdem nicht unmittelbar an Übernachtungszahlen gemessen werden. Es richtet sich nicht an Massen, sondern an Multiplikatoren, an jene Menschen, die in digitalen Zeiten „Influencer“, also Beeinflusser genannt werden. Hochwertige Veranstaltungen an außergewöhnlichen Orten sind die beste Werbung. Eine teure Adresse am Döppersberg ist nicht unbedingt notwendig, es sei denn, die privaten Gesellschafter wollten die monatliche Miete dafür angemessen mitfinanzieren.

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