Ein Leben im Vorzimmer der Macht

Was immer im Büro des Oberbürgermeisters passierte, Karin Sobania wusste es.

Wuppertal. Es gibt Dinge, denen fühlt sich Karin Sobania verpflichtet. Klaren Worten und Loyalität zum Beispiel. "Das hat mir früher so gefallen bei den Politikern. Erst haben sie sich gefetzt und hinterher ’ne Flasche Bier miteinander getrunken", sagt die 70-Jährige und lacht verschmitzt. In ihrer Wohnung hat alles seinen Platz. Das Porzellan-Service in der Glasvitrine, die Zigaretten in einem blauen Etui auf dem gläsernen Couchtisch mit weißem Deckchen vor ihr. Die Details stimmen. Darauf legt sie Wert, schließlich war es ihr Job.

Beinahe 30 Jahre war sie die erste Frau im Vorzimmer der Oberbürgermeister im Wuppertaler Rathaus. Johannes Rau, Gottfried Gurland, Ursula Kraus, Hans Kremendahl. Alle hat sie kommen und gehen sehen, geblieben ist Sobania. Jetzt sitzt sie zu Hause in ihrem Sessel, erzählt und legt ihren Kopf dabei etwas zur Seite, während sie mit der linken Hand gestikuliert.

"Ausreden gab es für ihn nicht." Wenn Karin Sobania über ihre Chefs spricht, wie hier von Johannes Rau, dann voller Respekt. Tratsch verabscheut sie. Dabei hätte sie sicherlich genug Geschichten parat. Kaum etwas, das im Büro nebenan passierte, hat sie nicht mitbekommen.

Einmal, erinnert sie sich, stand für den damaligen OB Kremendahl ein Empfang in der Stadthalle an. Jemand sollte sich in das Goldene Buch der Stadt eintragen. "Nach dem Anlegen der Amtskette sagte ich, Mensch, da stimmt aber was nicht. Das sieht komisch aus." Nach und nach zog der OB dann aus jeder Tasche seines Jacketts zwei bis drei große Zigarettenschachteln, die für das merkwürdig beulige Aussehen verantwortlich waren. "Und dann wollte er die Zigaretten nicht abgeben." Erst nachdem sie versprechen musste, die Päckchen sofort nach der Veranstaltung zurückzugeben, gab der als starker Raucher bekannte Politiker die Schachteln ab.

Nach ihrer Ausbildung bei der Stadt tritt sie 1969 ihren Dienst als Chefsekretärin von Johannes Rau an. Früh morgens sitzt die 29-Jährige damals im Büro, organisiert den Tag, telefoniert und schreibt Briefe auf der alten Adler-Schreibmaschine, bei der immer das "o" aus der Tastatur springt. "Ich wollte auf keinen Fall scheitern", erinnert sie sich 41 Jahre später und stützt ihren Ellenbogen auf die beigefarbene Sessellehne. Im Bücherregal greift sie gezielt nach einem Ordner und holt einen Brief von Rau zu ihrem 60. Geburtstag heraus. Gerührt fährt sie mit ihrer Hand über das weiße Papier. Der Kontakt sei nie abgebrochen. "Wenn er im Rathaus war, hat er immer auch eine Tasse Kaffee bei mir getrunken."

Mit diesem ganzen Quoten- und Gleichstellungsding habe sie es nicht so. Daraus machte Sobania auch keinen Hehl, als sie ihre erste Chefin begrüßte. 1984 wurde Ursula Kraus Oberbürgermeisterin. "Da war ich schon ziemlich skeptisch, ob das mit uns so klappt, die anderen Chefs waren immer Männer." Karin Sobania ist eine direkte Frau, sie macht den Mund auf. So unverblümt teilte sie auch der Oberbürgermeisterin mit, dass sie den Job wechseln würde, wenn es denn mit der Chemie zwischen ihnen nicht stimme. Am Ende ist daraus eine Freundschaft geworden, heute fahren sie gemeinsam in den Urlaub.

Oft sei sie gefragt worden, warum sie nie ihren Job gewechselt habe. "Ganz einfach, die Oberbürgermeister haben doch gewechselt." Das sei genug Variation. Ein Star mit Allüren sei keiner gewesen. Die Zeiten haben sich geändert, "aber ich bin nicht so eine, die sagt, dass früher alles besser war." Auf keinen Fall möchte sie so ein altes Tantchen sein.

Für den gegenwärtigen Oberbürgermeister, Peter Jung, hat sie nicht mehr gearbeitet. Vorstellen hätte sie es sich schon gekonnt. "Ich glaube, dass meine Zeit damals einfach abgelaufen war. Das ist schon gut so."

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