Ein Geist, der Freiheit bringt

Warum der Reformationstag immer noch aktuell ist. Ein Gastbeitrag von Ilka Federschmidt, Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Wuppertal.

Wuppertal. Reformationstag und Halloween — durch den Trend der vergangenen Jahre rücken sie auch bei uns zeitlich ganz eng aneinander. Halloween hat ursprünglich mit der Vertreibung der Geister der Toten zu tun. Man fürchtete die unheimlichen Mächte, die das eigene Leben besetzen und bestimmen könnten. Wer heute Halloween feiert, hat diesen Geisterkult in der Regel gar nicht mehr vor Augen und wohl auch keine Vorstellung von den Ängsten, die dahinter standen. Man feiert einfach fröhlich um der Party willen.

Auch der Reformationstag, der auf Martin Luthers Thesenanschlag im Jahr 1517 in Wittenberg zurückgeht, erinnert an Ängste. Aber an Ängste, die auch heute durchaus real sind. Er erinnert an unausgesprochene und ausgesprochene Lebensgesetze, die Macht in unserem Leben ergreifen können — wie die bedrohlichen alten Geister. Für den Reformator Martin Luther war das damals, vor bald 500 Jahren, eine wahnsinnige Existenzangst.

Er fürchtete — wie viele Menschen damals — vor dem Urteil Gottes zu versagen, von Gott verstoßen zu werden. Wie ein Geist beherrschte diese Furcht Fühlen und Denken. Aber dann kam für Luther der befreiende Durchbruch beim Studium der Bibel: Gott ist kein gnadenloser Richter und Antreiber, er ist barmherzig, ein gnädiger Gott. Luther erkannte dies in Jesus Christus und seiner Hingabe mit Leib und Leben für uns Menschen.

Vor dem Urteil Gottes fürchten sich die meisten Menschen heute nicht mehr. Aber die Existenzangst, nicht genug zu sein, im Leben nicht zu bestehen, kennen viel zu viele. „Du bist nur, was du aus dir machst, was du leistest“ — dieser Satz spukt — mächtig wie eine unheimliche Macht — durch viele Köpfe und Seelen, durch unsere Gesellschaftsordnung.

Die Existenzangst, ob ich etwas wert bin, angenommen bin, ist leider sehr modern. Sie liegt Jugendlichen auf der Seele, die schon ganz jung mit Depression zu tun bekommen. Sie treibt Erwachsene um, die vergangene Erfahrungen nicht vergessen können und zeit ihres Lebens bangen, ob sie angenommen werden als die, die sie sind. Solche Ängste machen unfrei, abhängig. Martin Luther hat versucht, solche Ängste zu vertreiben. Aber nicht mit einem Geisterkult. Auch nicht mit Partylärm, in dem man diese Ängste gar nicht hört oder sie mit Recht einfach mal vergessen darf.

Martin Luther warb für eine äußerst verlässliche Beziehung. Er warb für das Vertrauen in Gott. Leidenschaftlich verwies er die Menschen auf den Gott, der die Freiheit von den „Mächten“, von den krank machenden Abhängigkeiten will. Das ewige „Bestehen-Müssen“, so wetterte er gegen seine eigene Kirche, darf nicht das Grundgesetz unseres Lebens sein. Sondern unser Leben fußt auf dem Angenommen-Sein durch Gott. Auf diesem Boden kann ein Mensch aufrecht gehen und stehen.

Damit wollte Martin Luther seine Kirche reformieren, den Geist der Freiheit fördern. Er steckte damit seine Gesellschaft an in der Bildung, in der Politik. Nicht Geisterverkleidung, nicht Verdrängung vertreibt die Furcht. Sondern, mit einem biblischen Wort: „In der Liebe ist keine Furcht. Sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.“ Daran erinnert der Reformationstag. Und darum brauchen wir ihn, auch als Herausforderung in unserer heutigen Gesellschaft.

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