Kolumne „Du schwule Giraffe“ oder wie Schüler schimpfen

Lehrer Arne Ulbricht über den Umgang damit, wie Schüler „schwul“ nutzen.

 Arne Ulbricht.

Arne Ulbricht.

Foto: Fries, Stefan (fri)/Fries, Stefan (fr)

Jeder Lehrer kennt folgende Situation: Schüler streiten und beginnen, sich Schimpfwörter zuzurufen. „Schwuchtel“ oder „Schwuli“ bzw. Wortkombinationen, in denen das Adjektiv „schwul“ auftaucht, gehören leider zum Standard-Schimpfwort-Repertoire der meisten Schüler (und vieler Schülerinnen).

Wie reagiert man als Lehrkraft darauf? Ignorieren? Nein, man sollte das Gespräch suchen. Vor einiger Zeit fragte ich zum Beispiel den sechzehnjährigen Fabian, der etwas Abfälliges gesagt hatte: „Was ist eigentlich so schlimm daran, wenn jemand schwul ist?“ „Na ja, also Männer und Frauen kriegen Kinder, Schwule können das nicht. Deshalb ist das nicht natürlich!“ „So so, es ist nicht natürlich. Stellen wir uns mal vor, dass Melanie…“ – Ich kenne Melanie schon lange und sie mich auch – das ist wichtig zu wissen – „… gerade ihren Eisprung hat und in den nächsten vierundzwanzig Stunden empfängnisbereit ist. Was müssten wir Männer tun, wenn wir uns natürlich verhalten wollten?“ „Bitte nicht!“, schrie Melanie, und alle, auch Fabian, lachten.

Dennoch gab er nicht auf. „Aber wenn jetzt ein Schwuler neben mir sitzen würde, der würde mich ja die ganze Zeit angrabbeln. Ist doch eklig.“ „Grabbelst du denn die ganze Zeit alle Mädchen an, die neben dir sitzen?“ Gelächter und Gesprächsende. Meine Art und Weise mit dieser Art jugendlicher Homophobie beziehungsweise Schwulenangst umzugehen, mag manchen nicht gefallen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass Moralkeulen, Verbote oder Strafen nichts helfen. (Am Ende wären wahrscheinlich „die Schwulen“ schuld.)

Manchmal geschehen wiederum kleine Wunder. Ein Fünftklässler (!) beleidigte vor Kurzem einen Nachbarn in einer Partnerarbeit mit dem Begriff „schwule Giraffe“ (Kein Witz). Ich ging zu ihm, und wir unterhielten uns flüsternd. Wie es denn so wäre, wenn er mit dreizehn oder vierzehn merken würde, dass er selbst schwul wäre, fragte ich. „Hm… dann würde ich wahrscheinlich gar nicht so leicht jemanden finden, der auch schwul ist. Und wahrscheinlich würden mich alle ärgern.“ Und dabei klang er nicht so, als hätte er ein Problem mit Homosexuellen. Sondern er klang so, als würde er verstehen, warum es ziemlich bekloppt ist, das Wort „schwul“ ständig als Schimpfwort zu benutzen. Anschließend arbeitete er weiter.

Arne Ulbricht ist Lehrer und Autor. Zuletzt veröffentlichte er den Erzählband „Vatertag“. In der WZ berichtet er von seinem Schulalltag.

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