Die Wahlen haben Kraft gekostet

Jürgen Scheugenpflug ist Wuppertaler Kabarettist und Leiter der Kabarett-Academy. In seinem satirischen Wochen-Rückblick kommentiert er Ereignisse aus dem Stadtleben.

Was für eine Aufregung. Gerade war das Deutsche Volk nicht mehr Papst, sondern Lena, da schmeißt Schlossgespenst Horst Köhler die Brocken einfach beleidigt hin und ruft dem Volk "Ich bin dann mal weg" zu. Und so stand die Kanzlerin ohne Oberhaupt im Regen. Statt dem Trainer der verletzungsgeplagten Fußball-Nationalmannschaft den frisch geföhnten Haarschopf zu tätscheln, muss sie ihre eigene Mannschaft in Berlin neu aufstellen. Furchterregende Namen wurden gehandelt; Rhetorik-Granate Edmund Stoiber etwa oder NRW-Arbeiterführer Bruder Jürgen, dessen Management bereits errechnete, was künftig der Händedruck eines Bundespräsidenten wert sei und daher kosten könnte.

Im Tal ruht dagegen die politische Arbeit seit geraumer Zeit still wie ein romantischer Bergsee. Die Wahlen haben sehr viel Kraft gekostet. Lediglich eine kleine Erhöhung der Gewerbe- und Grundsteuer steht ins marode Etat-Haus. Alles andere kann offenbar warten. "Das Tempo ist nicht so wichtig wie die Gründlichkeit der Diskussion und der zu treffenden Entscheidungen", merkte Johannes Slawig in Bezug auf die Wuppertaler Bühnen launig an. Sollte das nicht immer und überall so sein? Das Sparkonzept jedenfalls soll am 12. Juli beschlossen werden. Dass das exakt einen Tag nach dem Finale der Fußball-WM ist, scheint kein Zufall zu sein.

Ab Freitag regiert also König Fußball. Adipöse Mitbürger tragen bauchfreie Jogi-T-Shirts von Nivea. Andere statten ihren fahrbaren Untersatz mit bunten Fähnchen aus und kauen zum zweiten Frühstück einen WM-Salami-Stick. Biedere Hausfrauen kreieren bunte "Weltmeister-Kartoffelsalate", die sie zum "obersuperleckeren" Marken-Geflügelbratgut im Vorgarten der Reihenhaussiedlung zum Livespiel kredenzen. Auch sie stehen auf gut gebräunt und knackig, meinen aber nicht die Wurst, sondern Cacau und Boateng.

Mathematisch gesehen sind wir schon jetzt Weltmeister, behauptet der Physiker Metin Tolan und verdient sich mit dieser abenteuerlichen Behauptung eine goldene Nase. Deutschland hat bisher bei Weltmeisterschaften durchschnittlich den Rang 3,7 belegt. Die Platzierung schwankt seiner These nach periodisch um diesen Mittelwert und deshalb ist heuer der Titel unvermeidbar. Vielleicht sollten wir diesen Fantasten mal ausrechnen lassen, wann - mathematisch gesehen - Wuppertal wieder schuldenfrei ist? Aber angesichts dieser Sisyphos-Aufgabe tritt Herr Tolan wahrscheinlich lieber zurück, Ehrenwort.

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