Begrabt mein Herz in Wuppertal Die Verwandtschaft hat komplett versagt

Kolumnist Uwe Becker erinnert sich an seine Konfirmation — eine herbe Enttäuschung.

Begrabt mein Herz in Wuppertal: Die Verwandtschaft hat komplett versagt
Foto: Joachim Schmitz

Wuppertal. Als es Ostermontag schneite, da war ich so verwirrt, dass ich beim Frühstück ein Schokoladenei auf der Tischkante anschlug, um es zu pellen. Nun ist Ostern vorbei und ein anderes christliches Familienfest kommt auf uns zu. Nachfolgend berichte ich über die Geschehnisse rund um meine 1968 durchgeführte Konfirmation in der Lutherkirche zu Barmen. Monatelang musste ich vorab zum Konfirmationsunterricht. Sonntags auch noch zum Gottesdienst. Man bekam sogar einen kleinen Ausweis, in dem jeder Kirchgang vom Herrn Pfarrer persönlich abgestempelt wurde.

Zwei Gründe zogen mich den steilen Weg Woche für Woche zur Kirche hoch (hier wäre übrigens mal eine Seilbahn zur Oberen Sehlhofstraße angebracht). Zunächst war es die wunderschöne Schwedin, die kurz zuvor in unsere Klasse kam. Ihre Eltern kamen aus Stockholm und waren Diplomaten oder auch Agenten, die in Wuppertal für ein Jahr lebten. Sie wurde mit mir zusammen konfirmiert, was die ganze Sache etwas erträglicher machte. Mit ihr an der Seite einmal die Woche ins Pfarrhaus zu gehen, war mein persönliches Coming out. Ich wusste nun sicher, dass ich ein Leben als Heterosexueller führen würde. Im Alter von 14 Jahren hat man manchmal noch seine Zweifel, wohin die Reise geht.

Der zweite Grund, der mich freudig den beschwerlichen Weg zur Kirche meistern ließ, war materieller Natur. Meine älteren Freunde, die bereits konfirmiert waren, erzählten mir, dass es für sie große Geldgeschenke gab. Manfred zum Beispiel bekam insgesamt 380 Mark, Dirk sogar 420 Mark und Udo, der Sohn des Frisörs, stolze 560 Mark. Ich freute mich riesig und stellte mir vor, wenn ich nur 300 Mark bekäme, könnte ich mir 16 Langspielplatten kaufen, die damals 18 Mark kosteten. Zusammen wäre das dann 288 Mark gewesen. Ich hätte also noch 12 Mark übrig gehabt, um die kleine Agententochter ins Kino und zum Eis einzuladen. Bei einem damaligen Taschengeld von 3 Mark 50 in der Woche, war die Vorstellung, so viel Geld in den Händen halten zu dürfen, unbeschreiblich schön.

Allerdings war die Enttäuschung am Tag der Konfirmation groß, bekam ich insgesamt nur 20 Mark, und die auch noch von meinen Eltern, von denen ich eigentlich gar nichts erwartet hatte, schenkten sie mir doch schon den feinen Anzug, den ich nur ein einziges Mal trug und eine Taschenuhr für die dazugehörige Weste. Versagt hatte meine komplette Verwandtschaft. Meine Tanten und mein Onkel standen wohl eher auf Sachgeschenke. Ich bekam daher noch zwei Armbanduhren und drei Ferngläser. Drei Ferngläser! Ich war so geschockt, dass ich den Festbraten, den meine Oma so lecker hergerichtet hatte, kaum runterbekam.

Bis dahin war das der schlimmste Tag meines Lebens. Was dachten sich meine Verwandten dabei? Dass ich ein Spanner wäre oder auf dem Weg dorthin? Sollte ich mit den Ferngläsern Rehe am Alten Mark beobachten? Vernünftig absprechen konnten sich meine Tanten und Onkels anscheinend nicht. Für die 20 Mark, die ich insgesamt bekam, kaufte ich mir aber keine Langspielplatte, die Lust war mir vergangen.

Aus Trotz und bitterer Enttäuschung kaufte ich mir von diesem Geld Zigaretten. So wurde ich zum Raucher. Die meisten Zigaretten rauchte ich mit meiner schwedischen Klassenkameradin im Gebüsch hinter der Schule. Die Ferngläser stehen heute auf meiner Fensterbank. Da ich direkt an einer Schwebebahnstation wohne, kann ich mit einem Blick durch das Fernglas die Abfahrtszeit der nächsten Bahn Richtung Elberfeld lesen. Danke, Tante Ilse, Tante Gertrud und Onkel Hans!

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