Mobilität Die Verkehrswende hat begonnen

Prof. Dr.-Ing. Oscar Reutter tritt für eine Verkehrswende in Wuppertal ein. Über Wege dahin und persönliche Verkehrserlebnisse spricht er im WZ-Gespräch.

Herr Prof. Reutter, welche Verkehrsmittel nutzen Sie?

Oscar Reutter: Wir leben als Familie mit zwei inzwischen erwachsenen Kindern seit fast 30 Jahren ohne eigenes Auto. Ich habe Kinderwagen die S-Bahntreppen hinauf- und hinuntergetragen. Ich kenne autofreie Mobilität als Wissenschaftler und aus eigener Erfahrung.

Wie haben Sie Ihr Leben organisiert, dass das funktioniert?

Reutter: Wir wohnen nah an einem S-Bahnhof. Von dort bin ich jahrelang nach Wuppertal gependelt. Die Lage des Wuppertal Instituts am Bahnhof ist natürlich günstig. Seit meine Frau auch in Wuppertal arbeitet, können wir jetzt mit dem Rad und zu Fuß zur Arbeit.

Was war für Sie die schwierigste Situation ohne Auto?

Reutter: Als wir einmal eine neue Matratze vom nahe gelegenen Geschäft zu Fuß nach Hause getragen haben und es anfing zu regnen. Und wenn ich mit der Bahn mal drei statt anderthalb Stunden brauche. Das ist schon nervig.

Und welche Situationen hätten Sie im Auto nie erlebt?

Reutter: Das Radfahren auf der Nordbahntrasse hat uns Lust auf einen Radurlaub gemacht, der war toll. Als ich meinen Sohn im Bus zur Kita gebracht habe, haben wir anhand der ein- und aussteigenden Passagiere miteinander das Rechnen geübt. Das sind schöne Erinnerungen. Durch das Arbeiten im Zug gewinne ich Zeit, die ich sonst hinterm Steuer verlöre.

Warum sollten mehr Menschen auf andere Verkehrsmittel umsteigen?

Reutter: Dafür gibt es viele Gründe: Klimaschutz, Luftreinheit, mehr Ruhe. Kinder können sich sicherer fortbewegen, wenn die Stadt nicht so auf den Autoverkehr ausgelegt ist.

Trotzdem wollen viele nicht aufs Auto verzichten.

Reutter: Es gibt Veränderungen. Früher war es ein „Naturgesetz“, dass junge Menschen mit 18 ein Auto hatten. Heute sind Smartphone und Laptop wichtiger. Das ist ein Wertewandel. Das Semesterticket und Jugendtickets fördern das. Die spannende Frage ist, wie sich diese heute jungen Leute dann zukünftig mit 30 oder 40 verhalten werden.

Wie kann man so etwas unterstützen?

Reutter: Viele Städte betreiben aktive Radfahrpolitik, zum Beispiel Berlin und Mannheim. Sie öffnen Einbahnstraßen in Gegenrichtung für Radfahrer, erlauben Räder in öffentlichen Verkehrsmitteln. An der steigenden Nutzung des Rads kann man dort die Wirkung solcher Maßnahmen ablesen.

In Wuppertal ist der Anteil der Radler noch sehr klein.

Reutter: Wegen der Topografie und des Wetters war Radfahren hier immer ein Randthema. 2009 machten Fahrten mit dem Rad nur 0,9 Prozent aller Wege aus. Der Anteil wächst jetzt trotz der Berge und des Regens — durch die Nordbahntrasse, die die Sicht aufs Radfahren verändert und durch Maßnahmen wie das Öffnen von Einbahnstraßen. Der Wegeanteil lag 2011 bei 1,5 Prozent. Das ist immerhin ein Anfang für eine Verkehrswende. In Heidelberg liegt der Anteil übrigens bei über 25 Prozent und da ist es auch bergig.

Wie kann man den Wandel fördern?

Reutter: Eine Doppelstrategie ist am wirksamsten: umweltschonende Verkehrsmittel fördern und restriktive Maßnahmen gegen den Autoverkehr ergreifen.

Was wären Anreize?

Reutter: Ein funktionierender Nahverkehr — da haben wir mit Schwebebahn und Bussen gute Voraussetzungen. Ein Bürgerticket — dabei zahlen alle eine Abgabe und dafür ist der Nahverkehr fahrtkostenfrei. Schulwegsicherung, damit Kinder zu Fuß zur Schule gehen können, Radwege.

Was wären restriktive Maßnahmen?

Reutter: Höhere Parkgebühren im Zentrum reduzieren die Attraktivität einer Autofahrt in die City. Manche Städte, zum Beispiel London, Stockholm und Oslo, nehmen sogar eine City-Maut. Umweltspuren, auf denen Busse vorrangig fahren, aber auch Radfahrer. Das wäre auf der B7 möglich. Tempo 30 als generelle Höchstgeschwindigkeit innerorts bremst die Autos, macht das Fahren gleichmäßiger und das Radfahren sicherer.

Das sind aber weitreichende Forderungen.

Reutter: Dafür sind kulturelle Transformationsprozesse nötig. Das geht nur mit langem Atem. Es gibt aber gelungene Beispiele, die zeigen, dass es möglich ist: Freiburg, Zürich, Wien. Man muss deutlich machen, was wir damit gewinnen: eine neue Qualität von Stadt, mehr Lebensqualität.

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