Wuppertal „Die Strafverfolgung von NS-Verfahren ist unbefriedigend“

Jurist Boris Burghardt hielt im Landgericht einen Vortrag im Rahmen der Ausstellung „Justiz und Nationalsozialismus“.

 Wolfgang Baumann, Peter Biesenbach, Annette Lehmberg und Werner Richter (v.l.) im Gespräch.

Wolfgang Baumann, Peter Biesenbach, Annette Lehmberg und Werner Richter (v.l.) im Gespräch.

Foto: Fischer, Andreas H503840

Auch wenn in den vergangenen Jahren Prozesse gegen hochbetagte Helfer und Helfershelfer von ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern für Schlagzeilen gesorgt haben, die übergroße Mehrzahl der Verfahren liegt schon lange zurück. Die Strafverfolgung wegen mutmaßlicher NS-Verbrechen habe seinen klaren Schwerpunkt in der „unmittelbaren Nachkriegszeit“ bis etwa 1951, sagte der Jurist Boris Burghardt am Mittwochabend bei einem Vortrag im Landgericht.

Zudem hätten zahlreiche Prozesse wegen der NS-Verbrechen geringere Delikte - wie etwa eine Denunziation - zum Thema gehabt. Nicht einmal 20 Prozent aller vor bundesdeutschen Gerichten zwischen 1945 und 2005 angesetzten Strafverfahren wegen NS-Verbrechen hätten „ein Tötungsverbrechen“ verhandelt.

Zahlreiche Besucher
trotz Corona-Krise

Mit seinen Ausführungen zum Thema „Die Spätverfolgung von NS-Verbrechen durch die deutsche Strafjustiz“ beschloss der an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Burghardt den Reigen der Vortragsabende, der im Rahmen der Wanderausstellung „Justiz und Nationalsozialismus“ im Wuppertaler Landgericht veranstaltet wurde.

Trotz Corona-Krise fanden sich zahlreiche Besucher zu den Ausführungen ein. Die Präsidentin des Landgerichts, Annette Lehmberg, erinnerte daran, dass in der Diskussion um Strafprozesse gegen ehemalige KZ-Wächter heutzutage oft die Frage aufkäme, ob so hochbetagten Menschen noch der Prozess gemacht werden müsse. In dieser Frage verwies Lehmberg aufs Gesetzbuch: „Mord verjährt nicht!“

Auch Referent Burghardt griff die Frage auf. Bei der Verfolgung von NS-Straftaten gehe es - unabhängig vom Alter des Beschuldigten - um mehrere Aspekte. Ein solcher Prozess sei zum Beispiel wichtig, um den Angeklagten eine Missbilligung für ihr strafrechtliches Fehlverhalten auszusprechen. Zudem gehe es um eine Anerkennung für die Opfer der NS-Straftaten, die durch das Verfahren eine symbolische Wiedergutmachung erführen. Gleichwohl sei heutzutage bei Prozessen wegen NS-Straftaten, die mehr als ein Dreivierteljahrhundert zurücklägen, Vorsicht geboten. Die Gerichte dürften nicht „selbstgerecht“ in der Beurteilung der Taten sein, schließlich stehe ein „enormer zeitlicher Abstand“ zwischen Tatbegehung und Gerichtsprozess, betonte Burghardt.

Falsche
Schwerpunkte gesetzt

Mit Blick auf die NS-Strafprozesse zog der Berliner Jurist ein kritisches Fazit. Die Strafverfolgung der NS-Verbrechen sei „unbefriedigend“ gewesen und habe noch dazu die „falschen Schwerpunkte“ gesetzt. Die Verfahren „bildeten nicht den Unrechtscharakter des NS-Regimes ab“. Immerhin gebe es aber eine positive Entwicklung bei den jüngsten Prozessen gegen NS-Straftäter. Während früher für die Verurteilung solcher Angeklagten ein „konkreter Einzeltäternachweis“ notwendig war, rückten die Gerichte in den letzten Jahren davon ab und verurteilten die Angeklagten auch dann, wenn sie Mittäter waren und als Teil eines Kollektivs schwere Straftaten begangen hatten.

Zum Abschluss der Vortragsreihe im Landgericht fand sich auch der oberste Dienstherr der Juristen aus Düsseldorf ein. NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) ging kritisch mit seinem Berufsstand ins Gericht. Die Ausstellung werfe die Frage auf, wieso die Justiz im Nationalsozialismus so „ein willfähriges Instrument“ der Nazis gewesen sei. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung hätten Juristen heutzutage die „Verantwortung, dass das Recht nicht missbraucht werden kann“.

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