Symbol der Krise? Die Rolle des Klopapiers in einer weltweiten Krise

Wuppertal · Das Ringen um Normalität nimmt in Zeiten von Corona zuweilen skurrile Formen an.

Foto: dpa/Stefan Sauer

Wie kann es nur sein, dass das Klopapier zum Symbol der Krise geworden ist? „Mut zur Lücke“ möchte man den Mitmenschen zurufen, die bereits morgens um 7 Uhr anstehen, um ein nur vermeintlich knappes Gut käuflich zu erwerben. Doch dieser Mut zur Lücke ist bei vielen Zeitgenossen nicht stark ausgeprägt.

„Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“ Dieses Zitat, das fälschlicherweise Marie Antoinette zugeordnet wird, könnte man auch auf die aktuelle Situation anwenden. Selbst wer gerade einmal kein Toilettenpapier im Haus haben sollte, kann dies mit etwas praktischer Fantasie und Tempotaschentüchern überstehen. Und nicht nur Händewaschen gehört zur Körperhygiene.

Doch das Problem der Hamsterkäufe liegt tiefer. Es geht ums Ganze. Das Ganze ist der Haushalt, der mit allen lebenswichtigen Dingen ausgestattet sein muss. Was lebenswichtig ist, definiert jeder für sich, aber in der Vorstellung vieler Menschen gehört zum großen Ganzen Toilettenpapier dazu. Nun gibt es Menschen, für die ist das Ganze wichtiger als die Summe aller Einzelteile. Deren inneres Gleichgewicht geht verloren, wenn ein Teil des Ganzen fehlt. Für manche Menschen ist die Lücke kein Problem. Die Lösung lässt sich auf Morgen verschieben oder auf den St. Nimmerleinstag. Vielen Artgenossen hilft der Glaube, dass sich Probleme von selbst lösen oder von anderen gelöst werden. Der Andere ist in einer Familie in der Regel die Frau.

Problematisch ist die unsichere Versorgungslage für Menschen, deren Welt nur als Ganzes funktioniert. Fehlt ein Teil des Ganzen, löst das Dissonanzen aus, die aufs Gemüt schlagen. Einziger Ausweg ist der Kauf fehlender Teile, um das Ganze wieder herzustellen. Klopapier ist allerdings eine Ware, die man nicht wie einen teuren Rotwein im Keller reifen lässt. Wer seinen Weinkeller gut bestückt hat, dessen Durst nach Ganzheitlichkeit ist erst einmal gestillt.

Der Verbrauch ist der Feind des optimal bestückten Haushalts

Bei besagten Rollen funktioniert das nicht. Ständig schrumpft der Vorrat. In einem Single-Haushalt lässt sich dieser Verbrauch besser kontrollieren und regulieren, aber wenn eine gesamte Familie zur Rolle greift, dann bedeutet das einen enormen Kontrollverlust des Einzelnen über die verfügbaren Ressourcen. Daraus gibt es nur einen Ausweg: Es werden Vorräte angeschafft.

Vorräte anzuschaffen, ist im Grunde keine schlechte Sache, aber wenn es alle in diesem Maße tun, werden daraus Hamsterkäufe. Das scheinbare Defizit wird durch den Kauf überkompensiert. Und da viele Menschen gleichzeitig Reserven anlegen, muss es ja scheinbar gute Gründe geben. Die gibt es tatsächlich aber nicht, denn es wird fleißig weiter Toilettenpapier produziert - und das, solange es noch Bäume gibt.

Womit wir beim Klimawandel wären, der als ehemaliges Problem Nummer 1 in Vergessenheit geraten ist. Der Ansturm auf die Regale mit Klopapier zeigt, wie unsere Weltwirtschaft funktioniert – beziehungsweise nicht funktioniert. Eine Wirtschaft, die alleine auf Wachstum ausgerichtet ist, betreibt permanente Hamsterkäufe. Gerade in den wohlhabenden Nationen oder in Systemen wie einem Konzern geht es leider ständig um den Erhalt des Ganzen durch Wachstum. Damit sich im Regal nicht kleinste Lücken bilden, wird ständig im Übermaß produziert und konsumiert. Und dies mit nicht reparablen Schäden für die Umwelt und das Klima.

Im 17. Jahrhundert gab es in den Niederlanden eine kurze Phase der Tulpenmanie, in der Tulpenzwiebeln mit Gold aufgewogen wurden, bis die Spekulations-Blase platzte. So weit sind wir mit den begehrten Papierrollen zum Glück noch nicht gekommen. Häufig wird die Frage gestellt, ob aus der Corona-Krise Lehren gezogen werden. So lange weiter in diesem Umfang Klopapier gehortet wird, muss das bezweifelt werden.

Ansonsten sollten wir es mit dem braven Soldat Schwejk halten. Der hatte sich von seinen Saufkumpanen mit dem Spruch verabschiedet: „Nach dem Krieg um halb sechs im Kelch“, womit eine Prager Kneipe gemeint war. Es geht auch weniger martialisch. Also: „Nach Corona um neun im Café um die Ecke.“

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