Die Kirche und der Missbrauch: „Ich bin traurig, entsetzt und manchmal auch wütend“

WZ-Interview: Wuppertals Stadtdechant Bruno Kurth spricht über Missbrauch in der katholischen Kirche.

Herr Kurth, sind Ihnen aus den vergangenen Jahrzehnten Missbrauchs- oder Misshandlungsfälle aus katholischen Einrichtungen in Wuppertal bekannt?

Bruno Kurth: Nach jetzigem Kenntnisstand hat es in Wuppertal keinen aktuellen Fall von sexuellem Missbrauch gegeben. Es sind allerdings von einer Wuppertalerin Missbrauchs-Vorwürfe gegen einen Pfarrer erhoben worden, die in den 1940er oder 1950er Jahren passiert sein sollen. Ich gehe davon aus, dass die Vorwürfe, sexueller Missbrauch durch einen Kaplan, zutreffen. Die Frau hat sich bereits vor Jahren ans Bistum gewandt. Ob die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde, weiß ich nicht, halte es aber für fraglich angesichts der langen Zeit seit der Tat - und zumal der beschuldigte Pfarrer schon lange tot ist und tot war, als die Frau sich an das Bistum wandte.

Kurth: Erstmal würde ich das Opfer oder, bei Kindern, die Eltern dazu ermutigen. Zudem würde ich das Bistum informieren. Das Bistum würde wiederum nach Prüfung des Falles, eventuell sogar unabhängig, zur Staatsanwaltschaft gehen. Wobei das Opfer dem prinzipiell widersprechen kann. Wenn wiederum ein Priester als Täter auf mich zukommt, muss ich das Bistum ohnehin einschalten. Ich würde immer beide Wege gehen: kirchliche und staatliche Gerichtsbarkeit, dazu die Ermutigung der Täter zur Selbstanzeige. Ein Sonderfall wäre natürlich, wenn mir so etwas bei der Beichte zu Ohren käme. Aber das gab es bei allen bekannten Fällen bisher nicht.

Kurth: Auf jeden Fall hat es der Kirche geschadet - im allgemeinen Sinne auch in Wuppertal.

Kurth: Natürlich, wobei die Reaktionen unterschiedlich sind. Die, die vorher der Kirche kritisch gegenüberstanden, haben jetzt einen triftigen Grund mehr dazu. Andere wiederum sind eher bereit, die Kirche jetzt zu verteidigen. Daneben gibt es die Meinung: Gut, dass es jetzt rauskommt - so schmerzlich das ist.

Kurth: In meiner Gemeinde nicht, und das ist mir auch nicht bekannt. Und ich muss auch in Richtung der Eltern sagen: Missbrauch kann in jedem Kindergarten geschehen, das ist kein spezifisch katholisches Problem. Die ganze Debatte hat doch gezeigt: Pädophile Menschen werden angezogen von Berufen, in denen sie Kontakt mit jungen Menschen haben - Erzieher, Lehrer, oder eben auch der Beruf des Pfarrers.

Kurth: Nein!

Kurth: Ja, sonst hätte ich Ihn nicht selbst angenommen. Es gibt aber einige Fragen, die sich die katholische Kirche stellen muss...

Kurth: Zum Beispiel die nach der Eignung und der Auswahl der Kandidaten für das Priesteramt. Das hat ja auch der Papst in seinem Hirtenbrief deutlich gesagt: Die Auswahl und die Eignungsprüfung sind in der Vergangenheit - in der ja die meisten Fälle geschehen sind - offenbar nicht sorgfältig genug geschehen. Das muss sich ändern.

Kurth: Ja, die Möglichkeit besteht zumindest.

Kurth: Wir können die Leute ja nicht scannen. Nehmen Sie aber beispielsweise ein anderes aktuelles Beispiel, die Odenwaldschule in Hessen: Allein an dieser einen Schule waren im fraglichen Zeitraum acht Lehrer des Missbrauchs von Schülern verdächtig - also so viele wie im gesamten Jesuitenorden in Deutschland. So gesehen stellt sich die Notwendigkeit sorgfältiger Eignungsprüfung nicht nur der Kirche, sondern überall wo große Nähe mit jungen Menschen gegeben ist.

Kurth: Sie muss verstärkt Psychologen einbeziehen - das ist in der Vergangenheit nicht geschehen, passiert jetzt aber auf jeden Fall. Dazu kommt, nur Kandidaten zum Priesteramt zuzulassen, die sexuell, emotional und als Persönlichkeit gereift sind.

Kurth: Ja! Der Papst hat ja schon vor seinem Hirtenbrief öffentlich erklärt, die Bemühungen der deutschen Bischöfe um Aufklärung zu unterstützen. Wenn auch das Hirtenwort sich auf die Katastrophe in Irland bezieht, so passen diese Worte doch mit der gleichen Klarheit auf unsere Situation. Ich kann Kritiker verstehen, die sich vielleicht auch ein paar explizite Sätze zu Deutschland gewünscht hätten. Aber geäußert hat sich der Papst, und zwar deutlich - von daher kann ich nicht verstehen, wenn ich Schlagzeilen lese wie "Der Papst schweigt".

Kurth: Nein, ich empfinde die Berichterstattung in vielen Medien als angemessen. Die Medien haben sicherlich auch erst dazu beigetragen, dass Opfer, die ja jahrzehntelang geschwiegen haben, bereit waren, über ihr Schicksal zu sprechen. Ich kann mich auf keinen Fall den Äußerungen eines Bischofs aus Süddeutschland anschließen (der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller hat in einer Predigt von krimineller Energie bei Journalisten gesprochen; Anm. der Red.). Die haben mich entsetzt.

Kurth: Ich weiß aus der Seelsorge, wie diese Vergehen einen Menschen sein Leben lang schädigen und seelisch sogar zerstören können. Persönlich als Priester bin ich traurig, entsetzt und manchmal auch wütend darüber - auch dann, wenn ich den Eindruck habe, dass die Verantwortlichen in unserer Kirche nach Missbrauchsfällen ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen sind.

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