Offen gesagt Die Kandidatenfrage stellt sich neu

Wuppertal · Analyse Das fast sensationelle Ergebnis der Grünen verändert die politische Landschaft auf in Wuppertal.

Die Kandidatenfrage in Wuppertal stellt sich neu
Foto: Schwartz, Anna (as)

Wuppertals Kommunalpolitik hat am 26. Mai überhaupt nicht zur Wahl gestanden. Dennoch kann das sensationell gute Ergebnis der Grünen die politische Landschaft in der Stadt spürbar verändern. Mehr als 25 Prozent erwachsene Wuppertaler haben mit ihrer Stimme schließlich gezeigt, dass ihnen andere Themen wichtig sind als den Politikern im Stadtrat. Dort geht es aus guten Gründen und deshalb berechtigt um den Bau von Kindergärten, um Flächen für Gewerbe und Wohnungsbau, um die dauerhaft unerträgliche Situation in Melde- und Kfz-Zulassungsstellen, um Investitionen, die sein müssen, und um Investitionen, die mangels Geld nicht sein können. Dennoch hat fast jeder dritte Wuppertaler Teilnehmer an der Europawahl für Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Energiewende und Umweltschutz gestimmt. Anscheinend führte nicht zuletzt die Fridays-for-Future-Bewegung Hunderttausender von Schülerinnen und Schülern auch in Wuppertal dazu, dass das Bewusstsein für dieses Thema deutlich gewachsen ist. Und wenn es bei der Europawahl naturgemäß nicht in erster Linie um Kommunalpolitik ging, wird sie die Politik in der Stadt doch verändern.

Denn auch in Wuppertal stehen Themen auf der Tagesordnung, die in Zusammenhang mit Umwelt- und Klimaschutz stehen. Vor diesem Hintergrund ist das Schicksal der Grünfläche Kleine Höhe vielleicht doch noch nicht entschieden. Womöglich nimmt das Thema mit dem grünen Rückenwind aus der Europawahl noch einmal Fahrt auf. Vielleicht findet sich in Wuppertal jetzt eine politische Mehrheit, die sich eindeutig gegen eine forensische Klinik für psychisch kranke Straftäter in dieser Grünzone ausspricht. Denn die, so sagen Bebauungsgegner, sei unverzichtbar für die Frischluftzufuhr Wuppertals.

Mit so einem Thema kann Bündnis’90/Die Grünen an der Wupper vermutlich ebenso punkten wie mit der Forderung nach einer Verkehrswende. Denn dass sich gut 60 Prozent der Teilnehmer an der Bürgerbefragung gegen eine Seilbahn zwischen Döppersberg über den Grifflenberg nach Küllenhahn ausgesprochen haben, bedeutet nicht, dass da nur PS-Protze ihr Kreuzchen hinter „Nein“ gemacht haben. Viele, vielleicht sogar die Mehrheit der Neinsager wird an einem Verkehrskonzept interessiert sein, das der Uni nutzt, der Südstadt nicht schadet und im besten Falle auch noch die Straßen entlastet. Darin werden sie sich mit der Mehrheit der Ja-Sager in der Seilbahnfrage einig sein.

Auch hier finden die Grünen also eine Spielwiese, auf der sie sich traditionell recht gut auskennen. Hinzu kommen Themen wie Verdichtung statt Neuausweisung von Flächen für Wohnungsbau- und Gewerbe und die Baumschutzsatzung.

Vorausgesetzt, die politische Interessenlage der Wahlbevölkerung verändert sich in den nächsten knapp 16 Monaten nicht noch einmal grundlegend, wird die bei der Europawahl zum Ausdruck gekommene Grundhaltung Einfluss auf die Auswahl des Oberbürgermeister-Kandidaten haben, der CDU und Grüne im Wahlkampf gegen Amtsträger Andreas Mucke (SPD) vertreten soll. Wenn deutschlandweit eine Million Wähler von der CDU zu den Grünen abgewandert ist, scheint im bürgerlichen Lager eine Art schwarz-grünes Gewissen gewachsen zu sein. Das kann zu der Erkenntnis führen, dass ein CDU-kompatibler Grüner im Wettbewerb mit Mucke eine bessere Chance hat als ein Christdemokrat, der ab und zu mit dem Fahrrad zum Bäcker fährt. Wenn dann noch das Kriterium zählt, dass ein politisch bewanderter, also erfahrener Kandidat nach der Wahl schneller auf Betriebstemperatur kommen kann, dann ist die Suche im Zirkel der Kommunalpolitik logisch. Und schon bekommt die Spekulation einen Namen: Marc Schulz. Der Fraktionssprecher der Grünen im Stadtrat ist nicht nur Architekt des Bündnisses mit der CDU, also christdemokraten-tauglich, er hat im OB-Wahlkampf des Jahres 2015 auch bereits Erfahrung gesammelt und eine verhältnismäßig gute Figur gemacht..

Gegen Schulz spricht jedoch die Gefahr, dass Wähler Kandidaten aus dem sogenannten politischen Establishment satt haben. Aber wer hätte andererseits gedacht, dass die Grünen bei einer bundesweiten Wahl einmal die SPD deutlich hinter sich lassen könnten?

Möglich ist die Kandidatur Schulzes – auch im Bündnis mit der CDU. Zwar ist am 26. Mai das EU-Parlament gewählt worden, nicht der Stadtrat. Und dort ist die CDU Seniorpartner und sicher nicht automatisch gewillt, einen Grünen auf den Schild zu heben. Aber wenn es die Erfolgsaussichten des Bündnisses mehrt und mehr christdemokratische Politik in Wuppertal möglich macht, ist es nicht ausgeschlossen. Es sei denn, die CDU zöge doch noch ein schwarzes Ass aus dem Ärmel.

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