Unital in Wuppertal „Die Forderung nach Geld reicht nicht“

Unital Prof. Kerstin Schneider spricht am ­Donnerstag ­über­ Engels und neue Antworten der Politik auf alte Fragen.

 Zu Zeiten Engels bedeutete Arbeitslosigkeit auch den Verlust der Existenzgrundlage.

Zu Zeiten Engels bedeutete Arbeitslosigkeit auch den Verlust der Existenzgrundlage.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Die Professorin für Finanzwissenschaft und Steuerlehre Kerstin Schneider spricht am Donnerstag, 5. März, um 19.30 Uhr in der Reihe Unital in der Citykirche, Kirchplatz. Ihr Thema heißt „Ungleichheit seit Friedrich Engels – Neue Antworten der Sozial- und Bildungspolitik auf alte Fragen“. Vorab gibt sie schon einen Einblick. Die Veranstaltungsreihe wird organisiert von der Fabu (Freunde der Bergischen Universität) und der Westdeutschen Zeitung.

Friedrich Engels beklagt den geringen Bildungsstand und das soziale Elend der Arbeiterschaft. Diese Klagen sind auch heute noch ständig in den Medien zu hören. Hat sich nichts geändert seit Engels Zeiten?

Kerstin Schneider: Genau diese Beschreibungen in Engels Schriften machen es so spannend, sich mit ihm und seiner Zeit zu beschäftigen. Damals und heute wurden die Zustände beklagt. Und gerade der Vergleich zwischen damals und heute kann uns helfen, unsere Probleme besser einzuordnen. Natürlich hat sich vieles geändert und alles ist besser geworden! Derzeit studieren 2,9 Millionen junge Menschen in Deutschland - das sind so viele wie nie zuvor! Und Arbeitslosigkeit oder Krankheit bedeuten nicht mehr den Verlust der Existenzgrundlage. Das war zu Zeiten Engels anders und kann in seinen Beschreibungen nachgelesen werden. Wir können uns glücklich schätzen, diese Zustände hinter uns gelassen zu haben. Das bedeutet aber nicht, dass wir keine weiteren Anstrengungen unternehmen müssen. Nach wie vor gibt es Gruppen in der Bevölkerung, die leer ausgehen - die keinen Schulabschluss haben und die auch nie auf dem Arbeitsmarkt ankommen. Daran muss natürlich weiterhin gearbeitet werden und es muss analysiert werden, warum diese Probleme bestehen, obwohl wir so viele Ressourcen in Bildung, Arbeit und Soziales investieren, und wie wir sie lösen können.

Welchen Anteil am Problem haben Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund?

Schneider: Die steigende Heterogenität ist natürlich eine Herausforderung; sowohl für unser Bildungssystem, den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme, aber auch für die Gesellschaft. Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund müssen integriert werden, damit aus der Herausforderung eine Chance und eine Win-Win Situation wird. Dies ist kein neues Problem, das wir in Deutschland erst seit der letzten Flüchtlingskrise zu bewältigen haben. Schließlich sind in Deutschland geborene Kinder aus Familien mit Migrationsgeschichte immer noch nicht so erfolgreich, wie man sich das wünschen würde. Auch zur Zeit von Engels gab es (Arbeits-)Migration. In Engels Schriften gibt es rassistische Schilderungen der irischen Arbeiterinnen und Arbeiter im England der Industrialisierung, die lesenswert sind und zeigen, dass die heutigen Herausforderungen und Rassismus im Zusammenhang mit Migration nicht neu sind in der Geschichte.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, das Problem politisch zu lösen?

Schneider:  Zunächst sollte gründlich geprüft werden, warum wir trotz eines breiten Bildungsangebotes für alle und eines sozialen Sicherungssystems, um das uns viele Länder beneiden, immer noch so unzufrieden sind. Solange wir nicht besser verstehen, warum uns die Integration und die soziale Durchlässigkeit nicht wie gewünscht gelingen, können wir auch keine politischen Maßnahmen zur Lösung der Probleme finden. Aus dem ungebremsten Kapitalismus wurde seit Engels die Soziale Marktwirtschaft, die uns Freiheit, Wohlstand und sozialen Ausgleich gebracht hat. Mit dieser Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus hat Engels nicht gerechnet. Viele, wenn auch nicht alle Probleme, konnten gelöst werden. Der breite Ausbau des Bildungssystems und der sozialen Sicherungssysteme war wichtig; für die aktuellen Probleme muss aber gezielter nach neuen Lösungen gesucht werden und das häufig reflexartig geforderte „mehr Geld für…“ wird nicht ausreichen.

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