Die Flucht in eine neue Heimat

Hessam Shahmir ist 1994 mit seinem Vater aus dem Iran nach Deutschland geflohen. Die Erinnerungen quälen ihn bis heute.

Die Flucht in eine neue Heimat
Foto: Stefan Fries

Wuppertal. Die Bilder von Flüchtlingen, die tagelang an Grenzübergängen warten, gezeichnet von den Strapazen der Reise sind für Hessam Shahmir nur schwer erträglich. „Ich versuche, nicht hinzuschauen, das nicht an mich heranzulassen“, sagt der 31-Jährige. Zu schmerzlich sind die Erinnerungen an seinen eigenen Weg in Richtung Sicherheit.

Bis vor einigen Monaten war der Wuppertaler überzeugt, dieses Kapitel seiner Biografie erfolgreich abgeschlossen zu haben. Doch dann holte die Vergangenheit ihn ein. Immer häufiger erinnerte er sich an seine eigene Flucht aus dem Iran, es folgten Angstzustände und Panikattacken. „Zunächst habe ich weiter gearbeitet, bis es nicht mehr ging und ich mir professionelle Hilfe holen musste.“

Posttraumatische Belastungsstörung lautete die Diagnose. „Inzwischen weiß ich, dass bei Trauma-Patienten schnelle Hilfe entscheidend ist, doch damals dachten alle, ich hätte das gut verkraftet und nun ist alles wieder da“, erzählt Hessam Shahmir. „Ähnlich wie die Kriegsgeneration hat er seine Erlebnisse jahrelang verdrängt“, sagt Wolfgang Ebert. Er ist mit dem gebürtigen Iraner befreundet und unterstützt ihn. Hessam Shahmir war neun Jahre alt, als er mit seinem Vater 1994 der Heimat den Rücken kehrte. „Damals wusste ich nicht, warum wir gehen.“

Hessam Shahmir

Es war der Beginn einer langen Odyssee zu Fuß, zu Pferd und mit dem Bus. „Für mich war es ein Schock, in der Ukraine Frauen ohne Kopftuch zu sehen. Das kannte ich nicht“, erzählt Hessam Shahmir. An der Grenze endete die Reise vorerst. Während sein Vater weiterreisen durfte, blieb er mit dem Schlepper und gefälschten Pässen zurück. Drei Monate saß er im Gefängnis, bis die ukrainischen Grenzschützer sie ziehen ließen.

„Wir sind dann zu Fuß weiter Richtung Deutschland, denn dort wohnte mein Onkel“, berichtet Shahmir. In Tschechien stieg er in einen Transporter ein. Die Insassen hielten ihm eine Waffe an den Kopf und zwangen ihn, Zigaretten zu kaufen. „Doch wir hatten gar kein Geld.“ Nach zwei Tagen Fußmarsch war er so erschöpft, dass er mit seinem Schlepper erneut in diesen Transporter einstieg. „Wir hatten einfach keine Kraft mehr.“

Der Schlepper beschimpfte ihn ständig für die Strapazen, lieferte ihn jedoch nach einem Monat bei seinem Onkel in St. Augustin ab. „Mein Vater war in den Iran zurückgeflogen, weil er dachte, dass sie mich zurückgeschickt haben. Es hat vier Monate gedauert, bis wir uns wiedergesehen haben.“, berichtet Hessam Shahmir. An seine erste Zeit in Deutschland hat er kaum Erinnerungen. „Ich war nur froh, endlich hier zu sein.“

Er absolvierte einen Sprachkurs, machte den Realschulabschluss mit Qualifikation und danach eine Ausbildung als Sozialhelfer. Inzwischen ist er examinierter Altenpfleger und hat sich in einem Fernstudium zum gerichtlichen Verfahrenspfleger fortgebildet. „Er hat eine hohe soziale Kompetenz und ist ein Beispiel für eine gelungene Integration“, betont Wolfgang Ebert. Er schätzt besonders seine Offenheit anderen Menschen gegenüber. „Hessam ist sehr engagiert in allem, was er tut.“

Eine Rückkehr in die Heimat seiner Eltern kann der 31-Jährige sich nicht vorstellen. „Deutschland ist das Land, in dem ich mich sicher fühle. Gleichzeitig bekomme ich es immer wieder zu spüren, dass ich in der Haut eines Migranten stecke.“ Integration ist für ihn nicht immer einfach. Gerne würde er mit seinen Erfahrungen den vielen Flüchtlingen helfen. „Doch im Moment fühle ich mich dazu nicht in der Lage.“ Er wünscht sich, dass möglichst viele von ihnen auch eine psychologische Betreuung bekommen, damit sie sich die Bilder und Erlebnisse ihrer Flucht von der Seele reden können.

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