Jahresrückblick: 7. September Deutschland braucht mehr Wuppertal

Bürger und Stadtverwaltung haben den Zustrom von Flüchtlingen so gut organisiert, dass sie nun als beispielhaft gelten.

Wuppertal. Lange Jahre war von Wuppertal außerhalb Wuppertals nichts Gutes zu lesen. Pleite, viele Arbeitslose, immer weniger Kultur. Das hat sich im zu Ende gehenden Jahr geändert und gipfelte in der renommierten Wochenzeitung „Die Zeit“ in dem Zitat: „Deutschland braucht mehr Wuppertal“. Warum? Weil diese Stadt mit einer der größten Herausforderungen seit dem Ende des 2. Weltkrieges sehr human, sehr geschickt und sehr erfolgreich umgegangen ist.

Mehr als 2000 Flüchtlinge, überwiegend aus Syrien, Irak und Afghanistan, sind seit September in Notunterkünften vorübergehend versorgt worden. Gleichzeitig bezogen Hunderte von Flüchtlingen, deren Asylverfahren laufen, und die deshalb dauerhaft in Wuppertal bleiben, Wohnungen. Sammelunterkünfte gibt es in dieser Stadt nur sehr wenige. 80 Prozent aller Asylbegehrenden werden in Wuppertal in Wohnungen untergebracht.

Für die Flüchtlinge, die eher auf der Durchreise zu ihren endgültigen Aufenthaltsorten sind, richtete die Stadt Notunterkünfte ein. Was andernorts zu Proteststürmen führte, geschah in Wuppertal nicht nur geräuschlos, sondern unter tatkräftiger Mithilfe jener, die für Flüchtlinge verzichten mussten.

Wie selbstverständlich räumten das Schulzentrum Süd für den 7. September und wenig später die Erich-Fried-Gesamtschule in Ronsdorf ihre Sporthallen, damit Notunterkünfte eingerichtet werden konnten. Ohne mit der Wimper zu zucken entwickelten Schüler, Lehrer und Anwohner Hilfsprojekte. Und noch immer ebbt die Welle der Hilfsbereitschaft nicht ab. „Deutschland braucht mehr Wuppertal“ ist die richtige Schlussfolgerung aus dem, was Bürger, Vereine und die Mitarbeiter des Sozialdezernenten Stefan Kühn (SPD) und des Integrationsbeauftragten der Stadt, Jürgen Lemmer, geleistet haben.

Versorgen und sich kümmern, ist allerdings nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist mindestens ebenso herausfordernd und wird Wuppertal wie alle anderen Städte in den nächsten Jahren beschäftigen. Die Frage, wie so viele Menschen in die Arbeitswelt, in Schulen und in die Gesellschaft eingegliedert werden können, ist noch nicht im Ansatz beantwortet. Gleichzeitig mehren sich die Stimmen jener, die sich vor den Konsequenzen dieser Eingliederung fürchten. Wie sehr verändern die Zugezogenen den geübten, gewohnten Alltag? Was müssen Alteingesessene aufgeben, wo müssen Flüchtlinge sich schlicht anpassen? Diese Fragen sind bisher unbeantwortet, werden die Gesellschaft insgesamt aber noch beschäftigen.

Nach den Erfahrungen mit den Tausenden von Schutzsuchenden im Jahr 2015 wäre es kein Wunder, titelte „Die Zeit“ vielleicht im Jahr 2018 wieder: „Deutschland braucht mehr Wuppertal“.

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