Der Sprachkünstler und die Zauberkunst

Sten Nadolny liest bei der Literatur Biennale aus seinem Roman „Das Glück des Zauberers“.

Der Sprachkünstler und die Zauberkunst
Foto: Anna Schwartz

Wuppertal. Schon in seinem Bestseller „Die Entdeckung der Langsamkeit“ bringt Sten Nadolny Historisches und Erfundenes so einfühlsam und leise zusammen, dass eine eigene Welt entsteht, in die der Leser gerne aufbricht. Die Geschichte um den britischen Kapitän und Polarforscher John Franklin machte ihn schließlich 1983 weltberühmt: Der Roman verkaufte sich 1,8 Millionen Mal und wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Zur Literatur Biennale kam der in Berlin und am Chiemsee lebende Schriftsteller am Samstagabend nach Wuppertal. Im Kulturzentrum Immanuelskirche Oberbarmen las der 75-jährige Schriftsteller aus seinem neuen Roman „Das Glück des Zauberers“.

Biennale-Förderer Gerold Theobalt leitet den Abend ein, der zwischen Lesung und angeregtem Gespräch wechselt. Denn mit auf dem Podium sitzt die Literaturkritikerin und Publizistin Sigrid Löffler („Literarisches Quartett“), die Nadolny vergnüglich und erwartbar klug in weichem Wienerisch interviewt. Der Buchautor kommt im anthrazitfarbenen Anzug und mit Laptop-Tasche. Löffler, weiß ergraut, trägt Schwarz und flotte Sneakers. Die beiden haben mehr gemeinsam als ihr Alter. Dass sie sich schätzen und mögen, merkt das Publikum schnell.

Löffler erzählt, dass Nadolny ihr schon früh imponiert habe, nämlich als er 1980 in Klagenfurt das Geld für den Ingeborg-Bachmann-Preis unter allen Teilnehmern aufteilte, statt es für sich zu behalten. „Das war zuvor die Idee mehrerer Autoren. Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch gar nicht, dass ich den Preis bekommen würde“, klärt Nadolny auf und hat die Lacher sofort auf seiner Seite.

Statt um einen langsamen Seefahrer geht es in seinem neuen Buch um einen Abenteurer mit magischen Kräften: den Zauberer, Elektriker und Melancholiker Pahroc, der 111 Jahre alt wird und in zwölf Briefen an seine junge Enkelin Mathilda auf ein langes wechselvolles Leben zurückblickt. Als Erwachsene soll Mathilda 2031 die Briefe des Großvaters zu lesen bekommen. Nadolnys Held ist Sohn eines Indianers und einer Tänzerin. Er kann sich unsichtbar machen, fliegen und durch Wände gehen. „Was passiert eigentlich, wenn man Zauberer ist? Das habe ich mir ausgemalt“, erklärt Nadolny die Grundidee. Dabei habe er freilich nicht an eine Figur wie Harry Potter gedacht, er wolle „etwas repräsentieren, das in uns allen drin ist“.

Pahroc will seiner Enkelin die Zauberkunst nahebringen. Nadolnys Protagonist kann zwar durch die Wände der Gaskammern von Auschwitz sehen, hat aber nicht die Kraft, den Verlauf der Geschichte zu ändern. Er berichtet von Erinnerungen und Erlebnissen an die Weltkriege, den Ungarn-Aufstand und beschreibt, wie Pahroc die 68er-Bewegung in Berlin erlebt, teils mit biografischem Substrat: „Ja, ich blicke auch auf den jungen Nadolny mit milder Ironie zurück“, gesteht der Romancier im Gespräch mit Löffler. Und ringt seinem Protagonisten im letzten Brief vor dem Tod ein entzauberndes Geständnis ab: „Du hast sicher längst erraten: Ich habe nie zaubern können, schon gar nicht als Meisterzauberer.“

Erzählende Menschen sind Leute, die hörbar werden und erfahren, dass das Erzählen auch belohnt wird, sagt Sten Nadolny. Dem Erzähler Nadolny hat man in der Immanuelskirche jedenfalls gerne zugehört. Die Belohnung: Applaus.

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