„Der Planet Pina wird leuchten“

Anne Linsel, Weggefährtin Pina Bauschs und Filmemacherin, zum ersten Todestag über die große Tänzerin und Choreographin.

Wuppertal. Dienstag, 30. Juni 2009, mittags. Wir sitzen im Schneideraum , um letzte Korrekturen zu machen am Film "Tanzträume". Sehen Pina Bausch auf dem Monitor, während einer Probe zu "Kontakthof mit Teenagern ab 14". Ihr Gesicht ist ernst, hochkonzentriert, manchmal huscht ein Lächeln darüber, ein Nicken des Kopfes im Rhythmus der Musik. Wie schön sie ist, wie immer ungeschminkt, die langen, dunklen Haare nach hinten gebunden, den Rücken hoch aufgerichtet, in der Hand die obligatorische Zigarette. Mädchenhaft jung wirkt sie, wenn sie arbeitet, keine Spur von Müdigkeit. Da geht die Tür auf. Der Produzent, fast tonlos: "Pina Bausch ist tot."

Pina Bausch wurde 1940 in Solingen geboren. Eine Kindheit im Krieg und in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit Angst, Entbehrung, aber auch Freude und Glück: ein verwilderter Garten mit dunklen sauren Kirschen, ein rostiges Treibhaus mit alten Sofas, auf denen man Trampolin springen konnte, oder "Zoo" spielen oder "Berühmte Schauspieler" - Pina war meistens Marika Rökk. Hier in diesem fantasieanregenden Kinderparadies begannen, sagte Pina Bausch später, ihre ersten Inszenierungen. "Manches von dem, was ich als Kind erlebt habe, findet sich später auf der Bühne wieder", sagte Pina Bausch in ihrer Dankesrede zum großen Kyoto-Preis 2007.

Auf der Bühne in Wuppertal entwickelte Pina Bausch mutig und unbeirrt eine neue, einzigartige Körpersprache: das Tanztheater. Eine Kunst-Revolution. Sie ging mit ihren Tänzerinnen und Tänzer fragend weit in die Kindheit zurück, machte sich auf zur Menschen- und Selbsterkundung. Erzählte Geschichten von Zärtlichkeit, Sehnsucht, Einsamkeit, Unglück, von Macht, vom Kampf der Geschlechter. Erfand Bilder voller Poesie, aber auch Gewalt und Brutalität, Absurdität und Schrecken, vielschichtig und vieldeutig und oft mit wunderbar hintergründigem Humor. Ein Theater der Sinne und Sinnlichkeit, poetisch und metaphorisch, erkenntnisreich, immer unmittelbar mit dem Leben verbunden. Ein Theater, wie man früher eingekauft habe, "ein Theater ohne Plastiktüten". ( Heiner Müller).

Pina Bausch lebte gern in Wuppertal, der Alltagsstadt. Gastspiele und Koproduktionen führten sie in alle Welt. Und überall wird sie verstanden, überall berührt ihre Kunst die Menschen, weil sie nicht nur zu ihnen, sondern von ihnen auf der Bühne spricht. Trotz aller triumphalen Erfolge, trotz Preise und Ehrungen, die Pina Bausch erhalten hat, ist sie sich treu geblieben. Der Tänzer Lutz Förster: "Auf grandiose Weise hat sie sich dieses Aufgeregt- und Nervös-Sein erhalten, wenn sie ein neues Stück angefangen hat. Diese Unschuld ist geblieben, vom Anfang bis zum Schluss."

Bis zum Schluss war auch die Angst geblieben vor jedem neuen Stück. Angst vor dem Nichts, Angst vor dem Versagen, Angst, nicht fertig zu werden bis zur Premiere. Am Abend der Uraufführung ihres letzten Stückes am 12.Juni 2009 saß Pina Bausch mitten unter ihren Gästen. Blass, dünn wie immer - aber noch durchsichtiger und unendlich müde.

"Es sind die Werke der Künstler, die aus der Ewigkeit, aus der bleibenden Bläue des Herzens steigen" (Else Lasker-Schüler). Das Werk von Pina Bausch gehört dazu. Der Planet Pina wird leuchten.

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