90 Wuppertaler Jahre Der erste Beauftragte für Fußgänger

Rainer Widmann erinnert sich an den 12. Februar 1996. An diesem Tag wurde er zum Experten für den nichtmotorisierten Verkehr ernannt.

 Rainer Widmann

Rainer Widmann

Foto: Jörg Lange

Die Nachricht, dass in der Stadtverwaltung Wuppertal ein Experte für die Belange des Fußverkehrs zuständig wird, wurde am 1. April 1996 in der WZ gemeldet. Der Artikel „Wenn die Fußgänger und Radfahrer der Schuh drückt“ motivierte dann auch zu nicht allzu ernst gemeinten Reaktionen: „Ich habe Fußpilz; können Sie mir da auch helfen?“ war eine der Fragen, die mir in Erinnerung geblieben sind. Aber es gab auch viele ernsthafte Anliegen, Beschwerden und Ideen, die in den ersten Wochen an mich herangetragen wurden, um das Zufußgehen sicherer und attraktiver zu machen. Ampelschaltungen waren ein Dauerthema, dunkle Unterführungen und natürlich zu schmale oder durch Auslagen und Falschparker zugestellte Gehwege.

Wie kam es überhaupt dazu, dass gerade in Wuppertal zum ersten Mal in Deutschland ein Beauftragter für den Fußverkehr diskutiert und schließlich eingesetzt wurde? Nachdem „Die Grünen“ 1984 zum ersten Mal mit überraschenden 10,6 Prozent in den Rat der Stadt Wuppertal eingezogen waren, entstand in Wuppertal das allererste rot-grüne Bündnis in Deutschland, mit Irmgard Wohlert als Bürgermeisterin, das vom damaligen Sprecher Peter Meister vorgedacht wurde. Meister war es, der fortan in fast jeder Sitzung des Verkehrsausschusses den Radverkehr thematisierte und schließlich vorschlug, dass die Stadt einen Fahrradbeauftragten einstellen solle.

Da die SPD aufgrund des damals noch sehr geringen Radverkehrsanteils Bedenken hatte, dies der Öffentlichkeit zu „verkaufen“, beauftragte der Rat der Stadt Wuppertal schließlich am 19.12.1994 als Kompromisslösung die Verwaltung: „Eine Beauftragte oder einen Beauftragten für nicht motorisierte Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer zu benennen, der/die im Rahmen eines Managementteams unter anderem die Planung und Ausweisung sicherer und attraktiver Gehwegnetze erarbeiten soll.“ Also einen Experten, der sich sowohl mit dem Rad-, als auch dem Fußverkehr beschäftigen solle, allerdings ohne zusätzliche Personalkosten. Entschieden wurde, dass ein Experte aus dem Verkehrsressort zehn Prozent der Arbeitszeit dem Fuß- und Radverkehr widmen soll. Da ich schon Ende der 1970er Jahre als Verkehrsplaner ein erstes Radverkehrskonzept für Wuppertal ausgearbeitet und Anfang der 1990er das Tempo-30-Konzept für die Stadt entwickelt habe, sollte ich die neue Funktion übernehmen. Ich sagte zu.

Am 12.2.1996 überreichte mir der damalige Beigeordnete Hauke Martens die Benennungsurkunde für die Zusatzaufgabe, die sich im Volksmund schnell unter dem Titel „Fußgängerbeauftragter“ etablierte. Im Grunde war es aber nur eine „Teilzeitstelle“, denn ich war zeitgleich auch noch Leiter des Teams Individualverkehrsplanung sowie stellvertretender Abteilungsleiter der städtischen Verkehrsplanung, hatte daher auch Verantwortung für andere Aufgaben der Verkehrsplanung.

Nachdem der WDR-Rundfunk ein kurzes Feature über die Einsetzung des ersten Fußgängerbeauftragten in Deutschland gesendet hatte, reisten dutzende Medienvertreter aus ganz Deutschland von Auto-Bild bis ZDF an, um diese exotisch anmutende Berufsgattung zu hinterfragen und den Beauftragten bei seiner Arbeit zu begleiten – oft auch sehr kritisch.

 So titelte die WZ im April 1996.

So titelte die WZ im April 1996.

Foto: Widmann

Viel hatte ich mir vorgenommen. Obwohl kaum Finanzmittel zur Verfügung standen, konnten wir einige ungewöhnliche Dinge ausprobieren und umsetzen. Ampeln wurden so umgestellt, dass Fußgänger schneller Grün bekamen. Realisiert wurde eine „Alle-gehen-Kreuzung“, an der Fußgänger diagonal queren können (Loher Straße/Wartburgstraße). Ein wichtiges Ziel war, die aus den 1950er Jahren stammenden Unterführungen entlang der B7, zum Beispiel am Robert-Daum-Platz und am Alten Markt zu schließen, um Fußgängern den Weg durch die tristen Tunnelanlagen und die Überwindung von Treppen zu ersparen. Auch eine Renaissance der Zebrastreifen konnte ich auf den Weg bringen und die Anzahl auf aktuell über 80 mehr als verfünffachen.

Oft waren die Anrufer einfach nur froh, endlich einen Ansprechpartner für ihre kleinen Sorgen im Verkehrsalltag einer Großstadt und die Belange der schwächsten Verkehrsteilnehmer bei der Stadtverwaltung gefunden zu haben.


In den letzten zehn Jahren meines Berufslebens bei der Stadtverwaltung hatte ich außer der Leitung der Abteilung Verkehr vor allem noch die Projektleitung für die neu zu bauende Nordbahntrasse. Viele meiner Erfahrungen sind in dieses Projekt eingeflossen, es war anstrengend, hat aber auch viel Freude gemacht.

In den ersten Jahren wurde ich oft angeschrieben und zu Vorträgen in andere Städte eingeladen. Bislang haben aber nur wenige Städte, wie zum Beispiel Leipzig und Wien, eine vergleichbare Stelle eingerichtet. Es hat sich gezeigt, dass eine solche Funktion als Moderation zwischen Bürgern und Verwaltung sinnvoll ist, aber auch zur kritischen Begleitung von kommunalen Planungen und Neubauprojekten im Straßenraum.

Ich habe mich sehr gefreut, dass die Stelle des Beauftragten nach meinem Ausscheiden unter dem neuen und zeitgemäßen Titel „Beauftragte für Nahmobilität“ weitergeführt wird und von meiner langjährigen Mitarbeiterin Norina Peinelt betreut werden kann. Denn eine fußgängerfreundliche Stadt ist auch menschenfreundlich, lebenswert und lebendig und lädt als kinder- und seniorenfreundliche Stadt zum Flanieren und Verweilen ein.

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