Das Leiden einer Fußball-Abstinenzlerin

Glosse: Umzingelt von Schwarz-Rot-Gold – für WZ-Mitarbeiterin Nicole Bolz gibt es kein Refugium, nirgends!

Wuppertal. Es gibt Zeiten im Leben, in denen ist man verdammt einsam. Da muss man sich entscheiden, ob man mit dem Strom schwimmt oder seinen eigenen Weg geht. Doch wenn sich die ganze Welt im Ausnahmezustand der Fußball-WM befindet, ist es schwer, im Lärm der Terror-Tröte seine innere Stimme zu hören. Und während sich Wuppertal allabendlich vor den Fernsehgeräten und Leinwänden versammelt, führen Fußball-Muffel ein trauriges Dasein im Schatten. Wer Horden grölender Menschen mit halbnackten Bäuchen und mit in Nationalfarben angepinselten Gesichtern bedrohlich findet, für den scheint es in diesen Tagen nirgends einen Platz zu geben.

Etwa in folgender Situation: Die Sonne scheint, der Feierabend naht - beste Voraussetzungen für einen lauschigen Abend mit Freunden im Biergarten. Hat man die erste Hürde überwunden und einen Freund gefunden, der dem bisher meist torarmen Gekicke im fernen Südafrika auch nichts abgewinnen kann, dann stolpert man schon vors nächste Hindernis. Wo bitteschön soll sich einfinden, wer ungestört von Gegröle, Getröte und Gejubel sitzen möchte? Spätestens seit der WM 2006 in Deutschland breitet nicht nur jede Kneipe und jedes Café den durstigen Fußballfans einen roten Teppich in Form eines mindestens 50 Zoll großen Fernsehers aus. Nein, ob griechische Imbiss- oder Dönerbude, Italiener oder Portugiese - alle, wirklich A-L-L-E bis hin zum Kulturverein und Libanesen laden mittlerweile zum Rudelgucken ein. Kein Refugium, nirgends.

Da greift frau schnell in ihrem Frust zum Magazin. Das verspricht tatsächlich einen Anti-WM-Guide mit wertvollen Tipps. Während die Herren in spack sitzende Trikots schlüpfen, soll sich die Damenwelt eben um das kümmern, was wirklich zählt: ihr Äußeres. Gehen Sie mal wieder zur Maniküre, vernachlässigen Sie auch ihre Füße nicht, kümmern Sie sich um eine neue Frisur. So schaffe man es angeblich bis ins Halbfinale. Dort wartet dann erst der richtige Knaller: ein Besuch bei der Kosmetikerin oder endlich mal in Seelenruhe shoppen. Nicht auf den Fußball achten, sondern auf die ach so knackigen Fußballer, rät ganz innovativ das Konkurrenzblatt. Doch ach, ein kaputtes Sprungelenk, so weiß ein anderes Magazin, habe den Frauen bereits in dieser Hinsicht das zweite Sommermärchen verdorben. Denn wo bleibt für frau der optische Reiz, wenn statt des smarten Ballack der bübchenhafte Özil im deutschen Mittelfeld seine Kreise zieht?

Nein, es muss doch noch etwas anderes geben. Das Fernsehen kapituliert vor den Traumquoten der Fußballspiele und sendet Mörderlangeweile in Endlos-Wiederholung. Nur das Kino wagt einen gezielten Angriff auf die WM-müden Frauen. Auf dem aktuellen Filmplakat von "Sex and the City 2" ist ein glitzernder High-Heel à la Carrie zu sehen, der einen Fußball platt tritt. Dazu heißt es vollmundig: "Es gibt andere Wege, um zu punkten." Ach, wenn’s doch so einfach wäre...

Es bedarf schon einer sorgfältigen Recherche, um die Zeit bis zum 11. Juli nicht in sozialer Isolation verbringen zu müssen. Immerhin bieten bergisches Wanderkino, Ausstellungen, Theater und Tango-Festival die eine oder andere Alternative. Ganz ist dem WM-Hype letztlich jedoch nicht zu entkommen. Und so bleibt am Ende die Erkenntnis: Die beste Art, den WM-Wahnsinn zu ertragen, ist mitzumachen. Pablick Wjuing, ich komme!

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