Meinung Das Kind in der Badewanne

Von Lothar Leuschen

Im ersten Moment muss Eltern der Atem stocken. Da erdreistet sich der Verband der Kleingärtner doch tatsächlich, die Zahl von Spielgeräten in seinen Anlagen zu begrenzen, damit dort weniger Kinder weniger Lärm machen. Das erinnert unschön an einen Vorfall vor einigen Jahren in der Elberfelder Südstadt, als Kleingärtner die Wege auf ihrem Gelände so mit Zäunen ausstatteten, dass dort Hunde und Kinder - und zwar genau in dieser Reihenfolge - keinen Auslauf und damit keinen Spaß mehr haben sollten. Die Zäune gibt es noch, die Kinder hat das bisher nicht weiter gestört, die Hunde auch nicht. Dennoch ist das ein fragwürdiges Verhalten in einer Großstadt, die trotz des Zwischenhochs durch Zuwanderung in der Tendenz überaltern wird.

Umso erstaunlicher ist nun der Vorstoß des Verbandes. Und mindestens ebenso bemerkenswert ist die Reaktion der Stadtverwaltung, die das seltsam wirkende Ansinnen in alter Abstempelmanier diskussionsfrei, klammheimlich durchwinkt. Aber letztlich kommt doch alles heraus, und das ist auch gut so. Verwaltungen sind längst keine abgekoppelten Herrschaftszentren mehr, viele Menschen mischen sich ein, und immer weniger sind bereit, widerspruchslos hinzunehmen, was über Jahrzehnte störungsfrei zwischen Aktendeckeln abgelegt wurde. Deshalb stockt Eltern heute der Atem, wo deren Eltern das Votum der Obrigkeit klaglos hingenommen hätten.

Dass sich in diesem Fall auch Wuppertals Politik regt, müsste angesichts des grassierenden Scheintodes der Parteien eigentlich zu einem Orden für die ruhebedürftigen Kleingärtner führen. Mit wirklich wichtigen Themen wie Kleine Höhe/Forensik, Stillstand in der Bahndirektion, Verkehrskonzept oder Innenstadtentwicklung ist den meisten Kommunalpolitikern zuletzt jedenfalls kein neues Leben eingehaucht worden. Mit dem Wunsch der Verbandsgärtner und dessen Erfüllung durch das Rathaus schon. Der schreit nach Kopfschütteln, nach Ablehnung und nach Korrektur.

Doch ehe die vermutlich eher reiferen Mitglieder des Stadtverbandes der Kleingärtner nun pauschal Facebook zum Fraß vorgeworfen werden, lohnt sich eine emotionslose Betrachtung des Themas. Fest steht, dass die Laubenpieper Wuppertal seit Jahren einen großen Dienst erweisen. Überall, wo Kartoffeln in Reih’ und Glied im Boden gedeihen, baut kein Unternehmer noch mehr lieblose Kaninchenställe, um mit 08/15-Architektur jeden Quadratmeter Grundes möglichst gewinnbringend auszuquetschen. Und viele Anlagen in dieser Stadt sind nicht zuletzt wegen ihrer Hanglagen wahre Augenweiden.

Andererseits ändert sich die Nutzerschaft der Parzellen, weil sich die Gesellschaft ändert. Kleingärten dienen eben nicht mehr in erster Linie der Lebensmittelproduktion. Sie sind lebens- und liebenswerte Erholungsorte geworden, sie sind gesucht und gefragt - und zwar zunehmend von Familien mit Kindern, die sich in der Großstadt kein Haus mit Garten leisten können, für ihre Kinder aber sicheres Spielen unter freiem Himmel wollen.

Dieser Wunsch ist ebenso berechtigt, wie der Wunsch älterer Gärtner nach Ruhe. Dennoch ist es keine Art, gewissermaßen in Hinterzimmermanier mit Hilfe der Verwaltung neue Regelwerke zu schaffen. In einer Stadt, in der sich der Oberbürgermeister Transparenz und Bürgerbeteiligung auf die Fahne geschrieben hat, ist diese Form der Problembewältigung geradezu peinlich. Beide Interessengruppen haben recht, beide haben ein Anrecht darauf, sich in einer Entscheidung der Stadtverwaltung wiederzufinden. Deshalb hätten in diesem Fall auch beide Interessengruppen gehört werden müssen, die alten Kleingärtner ebenso wie die jungen. Diesen Vorwurf müssen sich die Vertreter des Stadtverbandes gefallen lassen, mehr aber noch die entscheidenden Mitarbeiter im Rathaus. Von ihnen dürfen im Jahr 2018 alle Wuppertaler grundsätzlich einen umfassenden Blick auf die Entwicklung der Stadtgesellschaft und damit verbundene Notwendigkeiten erwarten. Statt so eine nur vermeintlich unwichtige Entscheidung mit der gebotenen Umsicht zu treffen, haben die Stadtverwalter das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Dass die wider Erwarten untoten Kommunalpolitiker nun Nachbesserung fordern, ist selbstverständlich und macht gleichzeitig Hoffnung, dass die Mandatsträger im Rat sich vielleicht doch wieder aktiv an Kommunalpolitik im Sinne möglichst vieler Wuppertaler beteiligen wollen. Das wäre den Kleingärtnern trotz ihres eher unglücklichen Ansinnens gar nicht hoch genug anzurechnen.

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